BGH hält Prämienerhöhungen von privaten Krankenversicherungen nur bedingt für unwirksam

Prämienerhöhungen aufgrund von § 8b MB/KK 2009 bleiben zwar grundsätzlich wirksam; Privatversicherte können aber künftig verlangen, dass der Versicherer nachweist, dass die Veränderung der Kalkulationsgrundlage nicht nur vorübergehender Natur ist.

Karlsruhe, den 22.06.2022 – Der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass Prämienerhöhungen einer privaten Krankenversicherung nach § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 (Musterbedingungen 2009 des Verbandes der privaten Krankenversicherungen) in Verbindung mit den Tarifbedingungen zu § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 wirksam sind. Nach diesen Vorschriften ist eine Erhöhung möglich, wenn ein Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen eine Abweichung von 5 % über dem tariflich festgelegten Prozentsatz ergeben hat, während § 203 VV einen Schwellenwert von 10 % verlangt. Nach § 155 Abs. 3 Satz 2 VVG ist es den Versicherern erlaubt, auch einen niedrigeren als den in § 203 VVG festgelegten Schwellenwert festzusetzen, solange die Veränderung der Kalkulationsgrundlagen der Versicherungen wie

– gestiegene Gesundheitskosten,

– gestiegene individuelle Inanspruchnahme

und

-gestiegenes Lebensalter

nicht nur vorübergehender Natur sind. Davon hatte der private Krankenversicherer Gebrauch gemacht. Über die Zulässigkeit der Abweichung von der gesetzlichen Norm (5 % Schwellenwert statt 10 %) äußern sich weder § 155 VVG noch der BGH.

Das Landgericht Köln hatte die Klage eines Versicherten gegen diverse Prämienerhöhungen abgewiesen, das Oberlandesgericht Köln hatte der Klage aber zum Teil stattgegeben und die beklagte Privatversicherung zumindest teilweise zur Rückzahlung von Prämienanteilen verurteilt. Es hatte zum einen bemängelt, dass mehrere Prämienerhöhungen bereits wegen einer unzureichenden Begründung in den Mitteilungsschreiben nicht wirksam geworden seien (dies kann aber nachgeholt werden); weitere Prämienanpassungen hat es dagegen für endgültig unwirksam gehalten, weil die Beitragsanpassungsklausel des § 8b Abs. 1 und 2 der MB/KK insgesamt unwirksam sei.

Der BGH hat dies nicht bestätigt. Unwirksam sei nur der Abs. 2 dieser Klausel, weil er eine Prämienerhöhung auch bei einem nur vorübergehenden Anstieg de Kalkulationsgrundlagen ermöglicht, und weil er sie vor allem ins Belieben der Versicherung stelle („kann davon absehen“), wogegen Erhöhungen aufgrund eines nur vorübergehenden Anstiegs der Kalkulationsgrundlagen nach § 203 VVG gesetzlich ausgeschlossen seien. Von dieser Unwirksamkeit werde aber Abs. 1 der Klausel nicht erfasst. Dieser Absatz erlaube Prämienerhöhungen im Allgemeinen, sei deshalb aus sich heraus verständlich und könne auch ohne die Anordnungen des Abs. 2 selbständig bestehen bleiben. Demnach besteht nach den allgemeinen Grundsätzen der AGB-Klauselkontrolle kein Grund, die Unwirksamkeit eines Teils der Klausel auf die gesamte Klausel des § 8b MB/KK auszudehnen. Die Prämienerhöhungen waren demnach materiell gerechtfertigt, so der BGH.

Da das Oberlandesgericht zu den formellen Voraussetzungen der Prämienerhöhungen noch keine Feststellungen getroffen hatte, wurde das Urteil aufgehoben. Der Rechtstreit wurde zur weiteren Aufklärung an das OLG Köln zurückverwiesen, welches jetzt noch prüfen muss, ob die formellen Voraussetzungen für die Prämienerhöhungen erfüllt waren.

Privat Versicherte können künftig also verlangen, dass die private Versicherung nachweist, dass die Änderungen der Kalkulationsgrundlage nicht nur vorübergehender Natur sind, denn der Umstand der Nachhaltigkeit („bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung“) ist nach § 203 VVG Tatbestandsvoraussetzung für die Erhöhung.

https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/2022095.html?nn=10690868

Vorinstanzen:

OLG Köln – Urteil vom 22. September 2020 – 9 U 237/19

LG Köln – Urteil vom 18. September 2019 – 23 O 392/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 203 VVG

(2) Ist bei einer Krankenversicherung das ordentliche Kündigungsrecht des Versicherers gesetzlich oder vertraglich ausgeschlossen, ist der Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage berechtigt, die Prämie entsprechend den berichtigten Rechnungsgrundlagen auch für bestehende Versicherungsverhältnisse neu festzusetzen, sofern ein unabhängiger Treuhänder die technischen Berechnungsgrundlagen überprüft und der Prämienanpassung zugestimmt hat. … Für die Änderung der Prämien, Prämienzuschläge und Selbstbehalte sowie ihre Überprüfung und Zustimmung durch den Treuhänder gilt § 155 in Verbindung mit einer auf Grund des § 160 des Versicherungsaufsichtsgesetzes erlassenen Rechtsverordnung.

§ 155 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)

(3) Das Versicherungsunternehmen hat für jeden nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Tarif zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ergibt die der Aufsichtsbehörde und dem Treuhänder vorzulegende Gegenüberstellung für einen Tarif eine Abweichung von mehr als 10 Prozent, sofern nicht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Prozentsatz vorgesehen ist, hat das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und, wenn die Abweichung als nicht nur vorübergehend anzusehen ist, mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen. …

§ 8b MB/KK 2009

(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. …

(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.

Tarifbedingungen zu § 8b Abs. 1 MB/KK 2009

Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden.

BGH hält Prämienerhöhungen von privaten Krankenversicherungen nur bedingt für unwirksam Zuletzt aktualisiert: 22.06.2022 von Barbara Brenner

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