Insolvenz von Selbständigen wegen COVID? Zügige Restschuldbefreiung weiterhin nur durch Insolvenzplan möglich

In aller Eile hat der Deutsche Bundestag zum 01.01.2021 etliche Gesetze in Kraft gesetzt, mit der das Insolvenzverfahren in Deutschland erheblich verändert wurde. Dazu gehörte – ganz unabhängig von der COVID-Pandemie – das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vom 20.12.2020. Mit diesem Gesetz werden Personen, die sich verschuldet haben, binnen 3 Jahren nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens von sämtlichen Verbindlichkeiten befreit. Damit hat der Gesetzgeber die europäische Restrukturierungs- und Insolvenzrichtlinie (EU-RiLi 2019/1023) umgesetzt. Die Regelungen zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens gelten in Deutschland nicht nur für unternehmerisch tätige Schuldner, sondern, wie von der Richtlinie empfohlen, auch für Verbraucherinnen und Verbraucher. Das war zunächst unstritten und sollte nur für ein paar Jahre probehalber gelten. Diese Befristung für Verbraucherinnen und Verbraucher, die die Bundesregierung einbauen wollte, hat der Bundestag aber nicht übernommen, so dass jetzt alle natürlichen Personen in den Genuß dieser Regelung kommen.

Die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre tritt  auch ohne irgendeine finanzielle Beteiligung des Schuldners ein, und zwar  rückwirkend auch für alle Insolvenzverfahren, die ab dem 1. Oktober 2020 beantragt wurden. Damit können auch diejenigen Personen bei einem wirtschaftlichen Neuanfang unterstützt werden, die noch im 4. Quartal 2020 durch die Covid-19-Pandemie einen Insolvenzantrag stellen mussten. Für Insolvenzverfahren, die zwischen dem 17. Dezember 2019 und dem 30. September 2020 (einschl.) beantragt wurden, wird das derzeit sechsjährige Verfahren monatsweise verkürzt.

Anders als bislang ist es für eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren jetzt nicht mehr notwendig, dass die Personen Tilgungs- und Kostenbeiträge leisten. D.h.: auch wer seinen Gläubigern gar nichts mehr anbieten kann, ist 3 Jahre nach der Eröffnung von allen Schulden befreit. Allerdings müssen Schuldnerinnen und Schuldner auch weiterhin bestimmten Pflichten und Obliegenheiten nachkommen, um eine Restschuldbefreiung erlangen zu können, z.B. einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder sich um eine solche bemühen. Selbständige können weiterhin selbständig bleiben, sie müssen in der sog. Wohlverhaltensphase lediglich den Beitrag leisten, der dem pfändbaren Anteil eines entsprechenden Angestelltengehalts entspricht. Alle darüber hinausgehenden Gewinne dürfen sie behalten.

Mit dem neuen Gesetz soll verschuldeten Personen ein schnellerer Neuanfang ermöglicht werden. Das ist natürlich interessant für alle Selbständigen, ob Handwerker, Eventveranstalter, Boutiquebesitzerin, Arzt oder Zahnarzt: „Die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre nach der Eröffnung des Verfahrens, statt wie bisher sechs Jahre, sorgt dafür, dass Betroffene schneller wieder aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können“, so das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz.

IST das so?

Die Wohlverhaltensphase beginnt erst, wenn das Insolvenzverfahren beendet ist. Das Verfahren selbst ist nach wie vor problematisch, weil hier das gesamte Vermögen des Schuldners verwertet wird. Bis dato waren die Betriebsmittel von Selbständigen, also alles, was der selbständige Unternehmer/Handwerker für seine Erwerbstätigkeit benötigt, von der Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters ausgenommen (§§ 36 InsO, 811 ZPO). Davon sind landwirtschaftliche Betriebe und Apotheken allerdings leider ausgenommen. Den Landwirten und Apothekern kann im Insolvenzverfahren deshalb der gesamte Betrieb bis zu letzten Heugabel / bis zur letzten Pipette unter den Händen wegverkauft werden. Eine selbständige Erwerbstätigkeit wird diesen Unternehmern durch das Insolvenzverfahren somit abgeschnitten. Warum gerade diesen Berufsgruppen die Existenzgrundlage entzogen werden muss, bleibt rätselhaft. Apothekern ist es sogar gesetzlich verboten, die Apotheke im Insolvenzverfahren überhaupt weiter zu betreiben (§ 7 Apothekengesetz) – die Aufsicht der Insolvenzverwalter ist bei Apothekern offenbar besonders gefährlich! Das ist schon heute verfassungsrechtlich höchst bedenklich, denn die notwendigen Betriebsmittel dienen der Existenzsicherung und werden dem Kernbereich der Berufsausübungsfreiheit zugeordnet. Die Bundesregierung (in Person des Justizinisteriums) setzt jetzt aber noch einen drauf, indem sie diese verfassungswidrige Praxis nach Art. 1 des Gesetzentwurfs des Justizministeriums zum Gerichtsvollzieherschutzgesetz (GvSchG) demnächst auf alle Berufsgruppen ausdehnen will. Der Schraubenzieher des Installateurs, das Fahrrad des Fahrradboten, der Hammer des Hufschmieds, der Behandlungsstuhl des Zahnarztes und das Stethoskop des Arztes, alles soll dem Insolvenzverwalter künftig uneingeschränkt zur Verwertung zugewiesen werden. Was bisher nur wildgewordene Insolvenzverwalter dem Freiberufler nach Gutsherrn-Manier eigenmächtig und rechtswidrig angetan haben, wird also jetzt Gesetz werden. Das geht selbst der Insolvenzverwaltervereinigung VID zu weit, die das in ihrer Stellungnahme mit einer Deutlichkeit, die man ihr nicht zugetraut hätte, abgelehnt haben. Für einen einfacheren Neustart, den dasselbe  Ministerium den verschuldeten Menschen durch den vorgerichtlichen Insolvenzplan (StaRuG) gerade erst eröffnet hat, ist das natürlich Gift. Da weiß die eine Abteilung im Justizministerium offenbar mal wieder nicht, was die andere macht, und geht blind in deren Gefilden wildern. Der Insolvenzverwalter kann den Betrieb natürlich auch freigeben (§ 35 Abs. 2 InsO). Das wird er aber nur tun, wenn und solange der Betrieb unlukrativ ist. Nun gut, das kriegt man hin. Allerdings hat er demnächst die Hand auf den Betriebsmitteln und ist somit in der besseren Verhandlungsposition. Gut, wer reiche (und hilfsbereite!) Verwandtschaft hat.

Fazit:

Die Restschuldbefreiung wird auf 3 Jahre verkürzt, aber das Unternehmen wird zerschlagen!

Es bleibt also dabei: Für Freiberufler und Unternehmer ist deshalb nach wie vor der Insolvenzplan die einzige Option, denn nur durch das Insolvenzplanverfahren (und geeignete Anträge) kann das Unternehmen dem Verwertungszugriff des Insolvenzverwalters entzogen werden. Außerdem sind bereits am Tag der Abstimmung sämtliche Verbindlichkeiten dauerhaft „vom Tisch“, d.h. die Restschuldbefreiung tritt erheblich früher ein. Dafür muss man also weder nach England noch nach Frankreich noch nach Österreich ausweichen. Das timing hängt ausschließlich von der guten Vorbereitung ab und ansonsten nur noch von der Terminslage bei Gericht, d.h. derzeit binnen ca. 9 Monaten. Bekommt man ein schriftliches Abstimmungsverfahren hin, geht es sogar noch schneller.

Ein Insolvenzplan ist zwar recht teuer, aber effizient, schnell und vor allem – sicher!

Mit der Gestaltung von Insolvenzplänen und der Vorbesprechung mit dem Gericht wird meine Kanzlei gerne betraut. Bei der betriebwirtschaftlichen Sanierung im Rahmen des Insolvenzplans wird die Kanzlei unterstützt von dem Sachverständigen, Herrn Dipl. Kfm. Jens Jäger https://www.svk-jaeger.de/ueber-uns/ und von der Fa. Aton advisors https://www.aton-advisors.de/d

Das außergerichtliche Restrukturierungsverfahren, Änderungen der Insolvenzordnung u.a.

Am 18./19.02.2021 hat unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Georg Bitter eine Online-Veranstaltung des Zentrum für Insolvenz und Sanierung der Universität Mannheim stattgefunden, die sich schwerpunktmäßig mit den Änderungen der Insolvenzordnung befasst hat, die seit dem 1.1.2021 in Kraft getreten sind. StaRuG, COVInsAG, SanInsFoG – in der Veranstaltung wurde das Ausmaß der Änderungen deutlich, die – vor allem im Hinblick auf Ausnahmen-Ausnahmen und Zeitraum-Regelungen – auch für Fachleute kaum noch zu überblicken sind.

Die Grundzüge der Neuerungen wurden von dem Autor im Justizministerium, Herrn Bornemann, vorgestellt. Sodann ging es um Themen wie

  • die Eigenverwaltung nach neuem Recht, die erheblich erschwert wurde,
  • das Restrukturierungsverfahren, seine Chancen und (Un-)Möglichkeiten,
  • die Auswirkung auf Verträge
  • die Erwartung der Beteiligten an die neuen/alten Restrukturierungsrichter*innen
  • die Anfechtungs“privilegien“ und ihre Unklarheiten sowie

last but not least

  • die Pflichten und die Haftung der Geschäftsführer nach den neuen Regeln.

Gerade zu letzterem Punkt wurde deutlich, wie gut ein Geschäftsführer orientiert sein muss, um in der Krise seines Unternehmens unbeschadet und straffrei zwischen Skylla und Charybdis hindurch zu navigieren.

Letztlich war das Auditorium sich darüber einig, dass die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ihre Rolle künftig wesentlich ernster nehmen müssen, indem sie ihre Klienten auch ohne besonderen Beratungsvertrag auf mögliche Insolvenzantragspflichten hinweisen müssen.

An dieser Stelle werden in Zukunft einzelne Beiträge zu den brisatnen Themen erscheinen.

Hier ist noch das Programm der sehr aufschlussreichen Veranstaltung:

https://www.uni-mannheim.de/zis/veranstaltungen/sonderveranstaltung-zur-reform-2021/