BGH: Inkasso-Sammelklagen auch für Auslandsforderungen zulässig

Bundesgerichtshof bestätigt Zulässigkeit einer „Inkasso-Sammelklage“ auch für Fälle ausländischen Rechts („Dieselaffäre“, Schweizer Käufer)

Urteil vom 13. Juni 2022 – VIa ZR 418/21

Nachdem der BGH in seinem Grundsatzurteil vom 13.07.2021 – II ZR 84/20 – bereits entschieden hatte, dass ein Inkassodienstleister sich wirksam Schadensersatzforderungen abtreten lassen kann, um diese dann als sog. „Inkasso-Sammelklage“ für eigene Rechnung vor Gericht durchzusetzen, hat der BGH heute entschieden, dass nicht einmal eine gesonderte Zulassung nach § 10 Abs. 1 Ziff. 3 RDG („Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht“) benötigt wird.

Sachverhalt:

Die Plattform „MyRight.de“, ein Produkt der Financialright GmbH mit Sitz in Berlin hatte in Braunschweig für 2.500 geschädigte Schweizer Käufer von Dieselfahrzeugen mit Abschaltvorrichtung Klage gegen VW eingereicht. Die Klägerin ist eine im Inland ansässige GmbH. Sie ist eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registrierte Inkassodienstleisterin. Als sachkundige Person hatte sie einen Rechtsanwalt beschäftigt.

Ende 2016 hatte sie sich von ca. 2.500 Schweizer Staatsbürgern mit Wohnsitz in der Schweiz deren angebliche Forderungen gegenüber der VW AG aufgrund einer Mängelgewährleistung wegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung (Stichwort „Dieselaffäre“) abtreten lassen. Zwischen den Parteien war jeweils vereinbart, dass die Inkasso-Dienstleisterin die Forderungen zunächst außergerichtlich geltend machen sollte. Im Falle des Scheiterns der außergerichtlichen Geltendmachung sollte die Klägerin die Ansprüche im eigenen Namen gerichtlich geltend machen, wobei ihr im Erfolgsfall eine Provision in Höhe von 35 % zukommen sollte. Der Käufer und Zedent wurde im Gegenzug von sämtlichen Kosten der Rechtsverfolgung freigestellt. Die Regressforderung beläuft sich demnach auf insgesamt ca. 100 Mio.€.

Das Instanzgericht hatte den vorliegenden Fall abgetrennt. Der Sachverhalt ist weitgehend mit dem der anderen Käufer identisch:

Der Zedent des abgetrennten Verfahrens hatte im Februar 2015 in der Schweiz von einer Schweizer Vertragshändlerin einen VW Tiguan mit Erstzulassung 2015 gekauft. Der Vertrag unterlag unstreitig schweizerischem Recht. In das Fahrzeug war ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 eingebaut. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde. In diesem Fall schaltete sie vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1 (Prüfstanderkennungssoftware). Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Das Kraftfahrt-Bundesamt bewertete diese Software als unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete für die betroffenen Fahrzeuge einen Rückruf an. In der Schweiz erließ das Bundesamt für Straßen (ASTRA) im Oktober 2015 ein vorläufiges Zulassungsverbot für bestimmte Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Baureihe EA 189, von dem das Fahrzeug des Zedenten allerdings nicht betroffen war. Der Käufer ließ Ende 2016 ein Software-Update der VW AG aufspielen.

Mit der – abgetrennten – Einzelklage wurde die VW AG auf Zahlung eines der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrags, mindestens jedoch CHF 5.394 (15% des Kaufpreises als Minderwert) zuzüglich Zinsen ab Übergabe des Fahrzeugs, in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Landgericht und Oberlandesgericht Braunschweig hatten die Klage abgewiesen.

Das OLG war der Ansicht, der Klägerin fehle die Aktivlegitimation. Die Klägerin habe für die Geltendmachung der Forderung, die dem Schweizer Recht unterfalle, eine Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG („Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht“) benötigt. Tatsächlich habe sie aber lediglich eine Erlaubnis für „Inkassodienstleistungen nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG“ („Forderungseinziehung“) besessen.

Folge des Fehlens der Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG sei, dass die Klägerin durch ihr Tätigwerden gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoßen habe. Dieser Verstoß führe zur Nichtigkeit des Dienstleistungsvertrags mit dem Zedenten sowie zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung selbst. Die Revision wurde zugelassen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat der Auffassung der Inkassodienstleisterin Recht gegeben. Aus einer am Wortlaut, an der Systematik und an Sinn und Zweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes sowie an der Gesetzgebungsgeschichte orientierten Auslegung ergebe sich, so der BGH, dass ein Inkassodienstleister mit der Erlaubnis für den „Forderungseinzug“ (§ 10 Abs. 1 Ziff. 1 iVm § 2 Abs. 2 RDG) keiner weiteren Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedürfe, und zwar auch dann nicht, wenn die Forderungen, die er außergerichtlich geltend macht, einem ausländischem Recht unterfallen.

Damit hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen des VIII. Zivilsenats vom 27. November 2019 (VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89, vgl. Pressemitteilung Nr. 153/2019) und des II. Zivilsenats vom 13. Juli 2021 (II ZR 84/20, BGHZ 230, 255, vgl. Pressemitteilung Nr. 127/2021) bestätigt und auf Auslandssachverhalte ausgedehnt.

Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine zusätzliche Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG zur Erreichung des Schutzzwecks des Rechtsdienstleistungsgesetzes in Fällen wie diesen nicht erforderlich ist.

Weil die Auffassung des Oberlandesgerichts, der Klägerin fehle die Aktivlegitimation, schon allein deswegen rechtsfehlerhaft war, hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr mit der inhaltlichen Berechtigung der Forderung des Zedenten zu befassen haben.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig – Urteil vom 30. April 2020 – 11 O 3092/19

Oberlandesgericht Braunschweig – Urteil vom 7. Oktober 2021 – 8 U 40/21

Die einschlägigen Vorschriften des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (RDG) lauten wie folgt:

„§ 2 Begriff der Rechtsdienstleistung

  1. Rechtsdienstleistung ist, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1, die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird, einschließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung (Inkassodienstleistung). Abgetretene Forderungen gelten für den bisherigen Gläubiger nicht als fremd.

 

„§ 10 Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) Natürliche und juristische Personen …, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:

  1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),
  2. […]
  3. Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht; ist das ausländische Recht das Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, darf auch auf dem Gebiet des Rechts der Europäischen Union und des Rechts des Europäischen Wirtschaftsraums beraten werden.

Manipulierte E-Bay-Auktion: VW Golf für € 1,50?

Der Bundesgerichtshof verhandelt lt. Mitteilung der Pressestelle am 24. August 2016 über den Kauf eines gebrauchten PKW Golf 6 im Rahmen einer vom Verkäufer manipulierten E-Bay-Auktion: War das Erst-Gebot in Höhe von € 1,50 für den Verkäufer bindend, dann droht Schadensersatz in Höhe des Marktwertes.

Sachverhalt:

Im Juni 2013 bot der Beklagte auf der Internetplattform eBay einen gebrauchten PKW Golf 6 im Wege einer Internetauktion mit einem Startpreises von 1 € zum Verkauf an. Im Verlauf der Auktion gab er – was nach den diesen Auktionen zugrunde liegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay unzulässig ist – über ein zweites Benutzerkonto eine Vielzahl eigener Gebote ab, so auch das bei Auktionsschluss bestehende Höchstgebot über 17.000 €.

Der Kläger hatte sich mit zahlreichen, vom Beklagten immer wieder überbotenen Geboten an der Auktion beteiligt, war aber mit seinem dem Höchstgebot des Beklagten in gleicher Höhe zeitlich nachfolgend abgegebenen Schlussgebot nicht mehr zum Zuge gekommen. Er forderte den Beklagten nach Auktionsende auf, ihm das Kraftfahrzeug zum Preis von 1,50 € zu übereignen, da er ohne dessen unzulässige Eigengebote die Auktion bereits mit einem Gebot in dieser Höhe gewonnen hätte. Nachdem der Beklagte ihm mitgeteilt hatte, das Fahrzeug bereits anderweitig veräußert zu haben, verlangte der Kläger Schadensersatz in Höhe des von ihm mit mindestens 16.500 € angenommenen Marktwerts des Fahrzeugs.

Die auf Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage hatte in der ersten Instanz Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Hierbei ist das Berufungsgericht zwar davon ausgegangen, dass zwischen den Parteien aufgrund des vom Kläger zuletzt abgegebenen Gebots ein Kaufvertrag zu einem – den Verkehrswert des Fahrzeugs übersteigenden – Kaufpreis von 17.000 € zustande gekommen sei. Wegen des überteuerten Kaufs sei dem Kläger aber aus dem Kaufvertrag selbst und dessen Nichterfüllung kein Schaden entstanden. Aus dem gleichen Grund stehe dem Kläger auch kein Schadensersatz aus vorvertraglichen Pflichtverletzungen des Beklagten zu, weil dieser den Kaufpreis durch seine unzulässigen Eigengebote pflichtwidrig in die Höhe getrieben habe. Denn es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger das Fahrzeug ohne die Manipulationen des Beklagten zu einem unter dem Marktwert liegenden Preis hätte ersteigern können. Aus dem Umstand, dass der Beklagte das Fahrzeug während der laufenden ersten Auktion nochmals zum Verkauf eingestellt und dabei ein fremder Bieter 16.500 € geboten habe, bevor auch er durch ein Eigengebot des Beklagten überboten worden sei, sei abzuleiten, dass dieser fremde Bieter sich auch an der ersten Auktion mit einem Gebot in der genannten Höhe beteiligt hätte. In diesem Fall hätte der Kläger das Fahrzeug aber ebenfalls nur zu einem den Marktwert übersteigenden Preis ersteigern können.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Vorinstanzen: LG Tübingen, OLG Stuttgart

Karlsruhe, den 5. Juli 2016

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe