Kölner Stadtarchiv-Prozess: Richter waren befangen, Urteil aufgehoben.

Prozess geplatzt: Bundesgerichtshof hebt Verurteilung eines mit der Bauaufsicht befassten Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit den Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln auf

Beschluss vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Nach den Feststellungen des Gerichts kam es am 3. März 2009 zu dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln sowie zweier benachbarter Wohngebäude, bei dem zwei Menschen zu Tode kamen. Ursache hierfür war zur Überzeugung der Strafkammer die Havarie einer im Zuge eines Großbauprojekts in der Nähe der Gebäude ausgehobenen Baugrube, deren seitliche Umschließung zuvor nur unzureichend erstellt worden war, so dass am Unglückstag insbesondere Erdreich von unterhalb des Stadtarchivs innerhalb kurzer Zeit in die Baugrube abgeflossen war. Der Angeklagte war auf Seiten der Bauherrin damit betraut, die Tätigkeit der bauausführenden Arbeitsgemeinschaft zu kontrollieren. Nach den Wertungen des Landgerichts kam er seiner Aufgabe jedoch nur unzureichend nach und schritt bei der mangelhaften Erstellung der Baugrubenumschließung nicht ein.

Auf eine Verfahrensrüge des Strafverteidigers des Angeklagten hin hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil aufgehoben, weil die Richter der Strafkammer bei Abfassung der Urteilsgründe bereits kraft eines gesetzlichen Verbots an der Ausübung des Richteramts in dem vorliegenden Prozess waren. Die Sache wurde an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Richter der Strafkammer wurden nach der mündlichen Verkündung des Urteils noch in einem Parallelprozess vor einer anderen Strafkammer als Zeugen zum selben Tatgeschehen vernommen. Sie waren von da an gem. § 22 StPO  von der weiteren Ausübung des Richteramtes in der vorliegenden Sache ausgeschlossen und waren deswegen daran gehindert, die – bis dahin noch nicht erfolgte – Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe vorzunehmen.

Auf die durch den Angeklagten ebenfalls erhobene Sachrüge kam es daher nicht mehr an.

Der BGH hat damit klargestellt, dass § 22 StPO nicht nur auf eine zeugenschaftliche Vernehmung zur Sache in der eigenen Rechtssache beschränkt ist, sondern dass er auch dann zur Anwendung kommt, wenn der/die Richter+innen in einem Parallelprozess zum selben Sachverhalt als Zeugen geladen sind und aussagen. Der Prozess dürfte nicht mehr zu retten sein, denn mit der rechtzeitigen Abfassung der – rechtskomformen – Urteilsgründe durch die verwiesene Kammer ist nicht mehr zu rechnen. Die verweisene Kammer kann vielmehr überhaupt keine Urteilsgründe mehr abfassen, weil deren Richter+innen den Prozess nicht begleitet hatten, und ein Urteil nur aus eigener Wahrnehmung der Richter+innen abgefasst werden darf. Der Prozess muss daher vollkommen neu „aufgerollt“ werden. In Anbetracht der relativ milden Strafe kommt hier aber eine Verständigung mit der Staatsanwaltschaft (sog. „deal“) über eine Einstellung gegen Auflagen in Betracht.

Die maßgeblichen Vorschriften der Strafprozessordnung lauten wie folgt:

  • § 22 StPO – Ausschließung von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes

Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen,[…]

  1. wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.
  • § 275 Absetzungsfrist und Form des Urteils

Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. Nach Ablauf dieser Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. Die Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein.

[…]

  • § 338 Absolute Revisionsgründe

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

[…]

  1. wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;

[…]

Vorinstanz:

Landgericht Köln – Urteil vom 12. Oktober 2018 – 110 KLs 9/17