BGH: Weiteres Urteil zur Vorsatzanfechtung
Karlsruhe, 24.02.2022 – Zum Vorsatz im Anfechtungsrecht
Beim Vorsatz muss man genau hinschauen, denn:
„Beim Vorsatz verbietet sich jegliche Spekulation“.
zit.: BGH in Strafsachen, 4 StR 399-17 („Raser-Urteil I“), zur Ermittlung des dolus eventualis beim Täter
Diese Rechtsposition hatte die Verfasserin bereits mehrfach in ihren Vorträgen zum Anfechtungsrecht beim FORUM Institut für Management im Jahr 2018 in Frankfurt/M. und zuletzt bei der ZIP-Tagung des Otto-Schmidt-Verlags im Jahr 2021 vertreten. Offenbar ist nunmehr auch der BGH in Insolvenzsachen dieser Meinung. Wie schön!
Die Verteidigung eines Anfechtungsgegners gegen eine Vorsatzanfechtung ist herausfordernd, aber nicht aussichtslos. Insbesondere wenn es um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners geht, der zwingende Voraussetzung für die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO ist, kämpft der Gläubiger auf unbekanntem Terrain, denn dazu kann er schlicht gar nichts sagen. Gleichwohl ist die Feststellung des (fehlenden) Vorsatzes für den Gläubiger essentiell. Denn ohne Vorsatz keine Kenntnis vom Vorsatz und somit auch keine Anfechtung beim Gläubiger. Es ist deshalb die einzige Aufgabe des Verteidigers, darauf zu achten, dass der Vorsatz korrekt ermittelt und nicht wild herumspekuliert wird.
Der BGH hat sich jetzt ein weiteres Mal zu den Voraussetzungen an den Schuldnervorsatz im Rahmen einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO geäußert:
„Die Zahlungsunfähigkeit stellt nur dann ein Indiz für den Benachteiligungsvorsatz dar, wenn der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat“ heißt es in Tenor 1 des Urteils vom 24.02.2022 – IX ZR 250/20.
Damit mit stellt der BGH nochmals ausdrücklich klar, dass die Kenntnis des Schuldners von seiner Zahlungsunfähigkeit nicht einfach vermutet werden darf. Es muss vielmehr bewiesen werden, dass er ein entsprechendes Bewusstsein auch tatsächlich HATTE. HÄTTE HABEN MÜSSEN reicht nicht. Damit baut der IX. Zivilsenat seine Rechtsprechung aus dem Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20 – weiter aus. Es war immer schon klar, dass ein Vorsatz beim Schuldner nur dann angenommen werden kann, wenn dieser zahlungsunfähig war und seine Zahlungsunfähigkeit auch kannte. Das ist insofern also nichts Neues. Neu ist allerdings, dass der BGH diese Kenntnis jetzt hinterfragt und somit verlangt, dass die Verwalter zu allen Vorsatzelementen konkret vortragen, und zwar sowohl zum kognitiven (Wissens-) als auch zum voluntativen (Wollens-)Element. Das war bisher nicht notwendig. Der gängigen Auffassung etlicher Untergerichte, wonach Kenntnis HAT, wer sie ZU HABEN HAT, wird hier also eine Absage erteilt.
Dadurch wird gleichzeitig die Abgrenzung zur Haftung des Geschäftsführers nach § 15b InsO (früher: § 64 GmbHG) schärfer gezogen. Das Urteil des BGH vom 6.5.2021 wird von Verwalterseite scharf dafür kritisiert, dass einem Geschäftsführer, der nach § 15b InsO wegen Insolvenzverschleppung haften muss, bei der Anfechtung aber kein Vorsatz unterstellt werden darf. Das ist so aber nicht richtig:
Die Kritik übersieht dabei, dass die Anforderungen an die Haftung des Geschäftsführers nach § 15b InsO deutlich niedriger sind, denn hierfür reicht einfache Fahrlässigkeit aus, wogegen bei der Vorsatzanfechtung eine fahrlässige Handhabung der Dinge eben nicht ausreicht. Es musste vielmehr vorsätzlich gehandelt worden sein, und zwar im Einvernehmen mit dem Gläubiger. Denn angefochten wird wegen Vorsatzes des Geschäftsführers ja nicht bei diesem, sondern beim Gläubiger! Dieser musste sich sozusagen mit dem Geschäftsführer gemein gemacht haben nach dem Motto, „Ich nehme das Geld, koste es die anderen Gläubiger, was es wolle.“
Die Haftung nach § 15b InsO greift also bereits ein, wenn der Geschäftsführer die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ZU HABEN HATTE. Das reicht bei einer Vorsatzanfechtung aber eben nicht aus. Diese greift erst dann ein, wenn er sie auch tatsächlich GEHABT HATTE. Wenn der GF die Kenntnis also tatsächlich HATTE, greift sowohl der § 15b InsO als auch der § 133 Abs. 1 InsO (letzterer natürlich nur, wenn die zusätzlichen, gläubigerseitigen Voraussetzungen vorliegen). Umgekehrt: Wenn er die Kenntnis nur ZU HABEN HATTE, ist er im Bereich der (groben) Fahrlässigkeit unterwegs, was für eine Haftung nach § 15b InsO ausreicht, für eine Vorsatzanfechtung dagegen nicht. Es gibt sicherlich eine Grauzone, z.B. wenn der GF „angestrengt wegschaut“, etwa weil er damit rechnet, dass die liquiden Mittel dauerhaft notleidend sind und auch bleiben werden. Wer wegschaut, damit er nicht sieht, was er schon weiß, der kann natürlich mit mangelnder Bewusstseinsbildung nicht gehört werden.
Mit der Entscheidung vom 24.02.2022 führt der BGH seine Rechtsprechung zu den Anforderungen an den Vorsatznachweis in Bezug auf die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit nun fort.
Zunächst hatte der BGH nämlich nur das zweite Element des Schuldnervorsatzes überprüft, nämlich die Kenntnis von der gläubigerbenachteiligenden Wirkung seiner Zahlungen.
Beispiel:
- BGH, Urt. v 12-09-2019, IX ZR 264-18 – ein unterhaltspflichtiger Schuldner meinte (irrig), er zahle den Unterhalt aus seinem pfändungsfreiem Einkommen. Der BGH meinte, dieser Irrtum könne darauf hinweisen, dass er kein Bewusstsein gehabt haben könnte, dass die Gläubiger geschädigt wurden, und wies die Sache zur weiteren Aufklärung zurück ans LG Lüneburg
- BGH, Urt. v 18-07-2019, IX ZR 258-18, Urlaubskasse (1)
- BGH, Urt. v 18-07-2019, IX ZR 259-18, Urlaubskasse (2)
- BGH, Urt. v 21-11-2019, IX ZR 238-18, SOKA-Bau (Gegenleistungen)
In allen diesen vier Urteilen erkannte der BGH Anzeichen dafür, dass der Schuldner offenbar geglaubt hatte, durch die Zahlung von Rückständen und entsprechenden Kontenausgleich könne er später fällig werdende Ersatzleistungen (Ansprüche auf Ersatz von Urlaubsgeld u.a.) von einer Ersatzkasse generieren, wodurch die Abflüsse durch Zuflüsse wieder ausgeglichen würden. Obwohl im Anfechtungsrecht spätere Zuflüsse mit den anfechtbaren Abflüssen nicht saldiert werden dürften, so der BGH, bestünden doch erhebliche Zweifel an dem Bewusstsein des Schuldners, seine Gläubiger zu schädigen, und wies die Sachen zur weiteren Aufklärung jeweils zurück ans OLG Frankfurt/M. Der dortige „Spezialsenat“ hat überhaupt nichts dazu aufgeklärt, sondern den Hinweis des BGH als erwiesene Tatsache unterstellt und die Klagen insoweit abgewiesen. Von mir aus.
Mit Urteil vom 06.05.2021 – IX ZR 72/20 – hatte der BGH diese Rechtsprechung sodann weiter verfestigt:
„Tenor b) Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.“
Neu war hier, dass diese Kenntnis sich auch auf die Zukunft beziehen muss, d.h. der GF musste gewusst haben, dass er die anderen Gläubiger voraussichtlich gar nicht mehr würde befriedigen können, und zwar nicht mehr nur binnen der Antragspflicht, also binnen 3 Wochen, sondern dauerhaft nicht. Hierfür müssen objektive Umstände herangezogen werden, die jeweils exakt zu ermitteln sind. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen dieser Umstände und für die Kenntnis des Schuldners hiervon liegt beim Insolvenzverwalter.
Während die vorzitierten Urteile sich vorwiegend mit dem Bewusstsein des Schuldners über die Folgen seiner Zahlungen befassten, äußert der BGH sich in seinem Urteil vom 24.02.2022 nun zur Kenntnis des Schuldners von seiner eigenen Zahlungsunfähigkeit bzw. von der Zahlungsunfähigkeit seines Unternehmens:
Was war passiert?
Die Schuldnerin hatte turnusmäßig Lizenzgebühren in Höhe von € 15.000 an ihre Gesellschafterin bezahlt; im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass die Schuldnerin durch Kündigung und Fälligstellung von Wandel-Darlehensforderungen anderer Gläubiger zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits objektiv zahlungsunfähig geworden war. Der GF der Schuldnerin war bei Vornahme der Zahlung allerdings noch davon überzeugt, dass diese Forderungen vertraglich nicht durchsetzbar waren, weil für die Darlehen zum einen eine feste Laufzeit vereinbart war, und sie im Übrigen einem vertraglich vereinbarten, qualifizierten Rangrücktritt unterlagen.
In Nachhinein hatte sich offenbar erwiesen, dass er Unrecht hatte, und dass die Rückforderungen tatsächlich liquide waren.
Der BGH hat diese Situation so bewertet, dass der Geschäftsführer sich keinen Benachteiligungsvorsatz gebildet hatte, und zwar mit folgender Begründung:
„Ob der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, hängt in erster Linie davon ab, ob er die Tatsachen kennt, welche die Zahlungsunfähigkeit begründen, und ob die gesamten Umstände zwingend auf eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen. Hierzu muss der Schuldner nicht nur die Forderungen kennen, sondern auch deren Fälligkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO.“
„Hält der Schuldner eine Forderung, welche die Zahlungsunfähigkeit begründet, aus Rechtsgründen für nicht durchsetzbar oder nicht fällig, steht dies einer Kenntnis entgegen, sofern bei einer Gesamtwürdigung der Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit nicht zwingend naheliegt (Verweis auf BGH, Urt. v. 19.02.2009 – IX ZR 62/08, Rn. 14).“
Für letzteres hatte der Kläger allerdings nichts vorgetragen.
Der BGH hat zunächst festgestellt, dass die Schuldnerin im Zeitpunkt der Zahlung von der mangelnden Durchsetzbarkeit der Forderungen ausging, und somit schon gar keine Kenntnis von der (tatsächlich aber eingetretenen) Fälligkeit der Forderungen hatte, und folgert daraus:
„Hatte die Schuldnerin keine Kenntnis davon, dass die gegen sie gerichteten Forderungen fällig waren, kann nicht angenommen werden, dass sie ihre Zahlungsunfähigkeit in einer für den Benachteiligungsvorsatz nach § 133 Abs. 1 InsO sprechenden Weise erkannt hat.“
Auch hier spielt das Bewusstsein des Schuldners also die entscheidende Rolle.
Fazit:
Für einen außenstehenden Gläubiger wird es schwer sein, einen solchen inneren Vorgang auf Seiten des Kunden festzustellen und entsprechenden Gegenvortrag zu führen. Entsprechender Sachvortrag des Verteidigers liefe Gefahr, „ins Blaue hinein“ vorgebracht zu werden. Allerdings zeigt dieser Fall eindrücklich, dass es durchaus Zusammenhänge gibt, die als äußere Anzeichen für einen mangelnden Benachteiligungsvorsatz streiten, und es ist die Pflicht des Gläubigervertreters, diese Anzeichen zu erkennen, zu ermitteln, vorzutragen und Bedenken gegen den Vorsatz zu formulieren, damit das Gericht dem nachgehen und einen Hinweis an den Verwalter erteilen kann.
Nicht ohne einen gewissen Stolz darf ich mitteilen, dass die Verfasserin diese Verteidigungsansätze seit Jahren verfolgt und sozusagen „erfunden“ hat. Umso größer ist jetzt natürlich die Freude, dass der BGH auf diese Linie einschwenkt.
Kann nämlich schon nicht festgestellt werden, dass der Schuldner die Zahlungsunfähigkeit und/oder die gläubigerbenachteiligende Wirkung seiner Zahlungen erkannt hatte, ist der Anfechtungsprozess schon gewonnen, denn dann kommt es auf die Kenntnis von Umständen, die für einen solchen Vorsatz streiten, und somit auf eine Kenntnis des Gläubigers, gar nicht mehr an.
Dabei stellt sich natürlich gleich die nächste Frage, nämlich wie stark die Beweiskraft von Umständen generell sein kann, wenn es grds. möglich ist, dass trotz Vorliegens verdächtiger Indizien tatsächlich fstgestellt werden muss, dass der Schuldner gar keinen Vorsatz hatte. Aber das ist ein anderes Thema.
Ein weiterer, interessanter Aspekt dieser Entscheidung ist Folgender:
Der BGH sagt:
„Ob der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erkannt hat, hängt in erster Linie davon ab, ob er die Tatsachen kennt, welche die Zahlungsunfähigkeit begründen.“
Frage:
Beinhaltet die Definition des BGH von der Zahlungsunfähigkeit (mindestens 90% Deckung ist binnen 3 Wochen nach Fälligkeit herzustellen) auch solche „Tatsachen“, welche die Zahlungsunfähigkeit begründen? Was ist, wenn der Schuldner die Definition des BGH gar nicht kennt – was häufig der Fall sein wird? Was ist, wenn er geglaubt hat, er habe viel mehr Zeit, seine Verbindlichkeiten zu bedienen, als nur 3 Wochen? Was ist, wenn er den Deckungsgrad seiner Verbindlichkeiten gar nicht kennt, weil er die Buchhaltung erstens nicht selbst und zweitens nicht nach Fälligkeiten erledigt, geschweige denn eine prospektive Finanzflussrechung erstellen lässt?
- Im Rahmen des § 15b InsO schützt ihn das eher nicht, weil er sich hätte Gewissheit verschaffen können und evtl. auch müssen. Als Geschäftsführer haftet er also für die Zahlung an den Gläubiger.
- Im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO dürfte aber das Bewusstsein fehlen, das für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nun mal notwendig ist. Der Gläubiger haftet also nicht (mit).
„Beim Vorsatz verbietet sich jegliche Spekulation“.
Dieser Grundsatz scheint sich auch in Anfechtungssachen langsam durchzusetzen. Wie schön!
Bonn, den 22.03.2022 / B. Brenner