partielle Coronaimpfpflicht für das Personal in Pflegeeinrichtungen

Berlin, 08.12.2021 – Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses des Deutschen Bundestages haben Sachverständige aller Richtungen heute eine (partielle) Impfpflicht für Angehörige der Gesundheitsberufe für verfassungsrechtlich und ethisch zulässig erachtet. Die Patienten zu schützen, stelle ein legitimes Ziel einer solchen Impfpflicht dar, meinte Prof. Anika Klafki von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Jena. Dem stimmten sowohl eine Bundesrichter zu als auch die Vorsitzende des Ethikrats.
Das Ergebnis der Anhörung im Hauptausschuss des Deutschen Bundestages ist daher – im Gegensatz zu einer generellen Impfpflicht – schon im Ansatz falsch, denn die partielle Impfpflicht ist völlig ungeeignet, um eine Übertragung des COVID-Virus vom Personal auf die sog. „vulnerablen Gruppen“ zu verhindern.
Dieses Ergebnis beruht deshalb auf einer überraschend unsauberen Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, bei der die Prüfung der Geeignetheit das zentrale Element der Untersuchung ist. Bei der Vorsitzenden des Ethikrates überrascht das nicht weiter; ethischerseits mag es genügen, dass die Maßnahme „gefühlt“ vertretbar erscheint. Aber sie sollte nach Möglichkeit verfassungsmäßig sein. Von einem Bundesrichter und einer Juraprofessorin erwartet man deshalb sauberes juristisches Handwerk: Während die Identifizierung des verfassungsmäßigen Ziels gerade noch gelungen erscheint, scheitert die Verhältnismäßigkeitsprüfung aber bereits an der Geeignetheit des ausgewählten Mittels. Die Impfung der „Wirts“ ist nach inzwischen einhelliger Meinung der Wissenschaftler gerade nicht geeignet, eine Übertragung des Virus auf andere Menschen zu verhindern, also gelingt der Schutz der besonders „vulnerablen“ Menschen durch die Impfung des Personals auch gar nicht. Darin unterscheidet sich die partielle Impfpflicht von der generellen Impfpflicht. Während man den Schutz der besonders vulnerablen Menschen NUR durch DEREN IMPFUNG herstellen kann (und natürlich durch konsequente Testung und Hygiene der Behandlerseite), hat die generelle Impfpflicht ein ganz anderes Ziel, nämlich die Sicherung der medizinischen Grundversorgung der Gesamtbevölkerung vor einer Überlastung der Kliniken und insbesondere der Intensivstationen. Dafür erscheint eine Durch-Impfung der Bevölkerung durchaus geeignet. Aber auch hier wird die Bevölkerung nicht als „Wirt“, also Überträger angesprochen, sondern als Empfänger des Virus.
Eine saubere Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer freiheitsbegrenzenden Maßnahme wie der Impfpflicht sähe demnach so aus:
Ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Freiheit der Bürger+innen ist zwar gesetzlich zulässig; die Maßnahme muss aber korrekt gegen die gefährdeten Werte abgewogen werden (Stichwort „Verhältnismäßigkeit“). Der Prüfungs-Dreisatz lautet:
1. Ist das geschützte Recht zumindest gleichwertig, wenn nicht sogar höherwertig einzustufen als das einzuschränkende Grundrecht?
2. Ist der geplante Grundrechtseingriff überhaupt geeignet, das verfassungsmäßige Ziel zu erreichen?
3. Gibt es kein milderes Mittel bei gleicher Effizienz?
Bei der generellen Impfpflicht beginnen die Schwierigkeit bereits bei der Frage, welches Ziel überhaupt erreicht werden soll: Der Schutz jedes Bürgers vor einer Infektion ist es jedenfalls nicht, denn dafür ist der Staat nicht zuständig. Es kann aber z.B. um die Vermeidung von Massensterben gehen (wie etwa bei der Pockenepidemie; davon sind wir in der COVID-19-Pandemie allerdings noch weit entfernt) oder um die Vermeidung massenhafter Belegung der Intensivbetten und – damit verbunden – den Kollaps der medizinischen Grundversorgung. Da die Wissenschaft sich auch darüber einig ist, dass sich letztlich jeder Bürger infizieren wird, ob geimpft oder nicht, könnte das Zwischenziel – wenn man die Intensivbetten wegen des Personalmangels halt nun mal nicht beliebig aufstocken kann – also z.B. lauten „Schnellst- und bestmögliche Immunisierung des größten Teils der Bevölkerung“ oder / und die „Verlangsamung der Durchseuchung der Bevölkerung“.
Die Frage ist sodann, ob die generelle Impfpflicht als Maßnahme geeignet ist, massenhafte schwere Krankheitsverläufe zu vermeiden. Das ist wissenschaftlich allerdings inzwischen erwiesen. Diese Frage kann hier – im Gegensatz zur partiellen Impfpflicht – also positiv beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, d.h. zur Auswahl des mildesten Mittels bei gleicher Eignung: Zur Eingrenzung bzw. Verlangsamung der Durchseuchung kommen mehrere Mittel in Betracht: Kontaktsperren, örtliche bzw. regionale Lockdowns bis hin zum bundesweiten Lockdown, strenge Hygienemaßnahmen (Desinfektion, Maske, Abstand), Abluftsysteme in sämtlichen öffentlich zugänglichen Innenräumen installieren, ständig und konsequent testen und die positiv Getesteten sofort isolieren, und natürlich – die Impfung.
Die Frage ist jetzt, ob und unter welchen Umständen die anderen Mittel gleich geeignet sind, die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, und ob sie ggfls. milder sind als die Impfpflicht.
– Die meisten Mittel, wie z.B. strenge Hygieneauflagen und Abluftsysteme, haben sich tatsächlich als nicht geeignet erwiesen, weil es an der Disziplin der Menschen und an Ressourcen mangelt (Bsp. Abluftsysteme in Schulen).
– Der T(eil-)Lockdown kommt meistens zu spät und ist daher nur unzureichend geeignet, um „die Welle“ zu verlangsamen. Wer diese Frage dennoch mit „gleich geeignet“ beantwortet, muss anschließend aber noch prüfen, ob er in der erforderlichen Konsequenz überhaupt ein milderer Grundrechtseingriff ist als die Impfpflicht. Dabei müssen nicht nur das Grundrecht auf persönliche Entscheidungsfreiheit betrachtet werden, sondern auch das Recht der Kinder und Jugendlichen auf Schul- und Ausbildung, die Berufsausübungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Religionsausübungsfreiheit, die Freiheit des Eigentums mit dem Recht an dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und so weiter. Die Menge, die Tiefe und die Dauer der Grundrechtsverletzungen führen dann zwingend zu dem Ergebnis, dass ein Teil-Lockdown gegenüber der Impfpflicht der schwerere Grundrechtseingriff ist.
– Die Testpflicht mit konsequenter Isolierung ad hoc (d.h. die positiv Getesteten bleiben in einer Dekontaminierungs-Einheit im Testzelt und werden mit speziell eingerichteten Seuchenfahrzeugen in die Quarantäne verbracht!) ist in der erforderlichen Dichte und Konsequenz unrealistisch und kommt am Ehesten bei örtlich gut einzugrenzendem Infektionsgeschehen in Betracht (Bsp.: der Pockenausbruch 1962 in Monschau). Die Einhaltung der Testpflicht ist bundesweit im Übrigen nicht mit genügender Sicherheit zu kontrollieren. Somit ist die Testpflicht mit anschließender Isolierung nicht annähernd ein gleich geeignetes Mittel wie die Impfung. Die Frage, ob es ein milderes Mittel wäre, stellt sich somit gar nicht.
Im Ergebnis stellt sich daher die generelle Impfpflicht tatsächlich als das mildeste geeignete Mittel heraus, um das verfassungsmäßig gebotene Ziel, die Grundversorgung der gesamten Bevölkerung aufrecht zu erhalten, sicher zu stellen.
Bei der partiellen Impfpflicht sollen dagegen nur diejenigen zur Impfung verpflichtet werden, die mit den sog. „vulnerablen Gruppen“ engen Kontakt haben müssen, also z.B. Ärzt+innen, Krankenschwestern, Altenpflegerinnen etc. in entsprechenden Einrichtungen (wieso eigentlich nur in den Einrichtungen?). Hier ist das Ziel der Maßnahme nicht primär die Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung, sondern der Gesundheitsschutz der besonders anfälligen Patienten. Auch das kann in besonderen Fällen eine verfassungsmäßige Aufgabe des Bundes sein. Das könnte z.B. als Auflage für die Betriebserlaubnis formuliert werden. Einfacher für die Betreiber der Einrichtungen ist es aber natürlich, wenn das Personal der Normadressat ist, weil dann der Staat für die Durchsetzung sorgt. Mittelbar würden diese besonders anfälligen Personen natürlich auch die Intensivstationen füllen, wenn sie weiterhin besonders anfällig bleiben für schwere Verläufe, obwohl sie geimpft sind. Wenn das so ist, dann ist die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung auch in Gefahr. Dafür ist der Bund wiederum zuständig. Das Ziel müsste hier also lauten „Vermeidung der Übertragung des Virus auf besonders gefährdete Menschen“ und wäre als Zielbeschreibung sicher auch verfassungsgemäß.
Die Prüfung der Geeignetheit ist hier aber schon schwieriger. Es ist bekannt und wissenschaftlich erwiesen, dass die Impfung gar nicht geeignet ist, die Übertragung des Virus auf Einzelpersonen zu verhindern. Sie ist ausschließlich geeignet, schwere Krankheitsverläufe bei den GEIMPFTEN zu verhindern.
Was jetzt?
Geeignete Maßnahmen sind aber – und zwar ausschließlich
– die Impfung und konsequente Auffrischungsimpfung der vulnerablen Gruppen selbst und
– konsequente Einhaltung von Hygienemaßnahmen und tägliche Tests des ärztlichen sowie des Pflege- und Betreuungspersonals.
Ob das Pflege- und Betreuungspersonal selbst geimpft ist oder nicht, ist dagegen völlig irrelevant.
Etwas anderes ergibt sich nur, wenn die Wissenschaftler herausfinden, dass auch die Impfung des „Wirts“ eine Übertragung des Virus auf Dritte erheblich erschwert. Dann muss die Prüfung unter diesem Aspekt wiederholt werden.

Bonn, den 08.12.2021 / B. Brenner