KV/ZA – § 103 Abs. 3a SGB V – Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes – Gemeinschaftspraxis – Praxiskauf – Verbrauch des Nachbesetzungsantrags durch Rücknahme – Voraussetzungen für erneutes Nachbesetzungsverfahren – Gesundheitsstrukturgesetz

BSG, Urt. v. 12.02.2021

Gelsenkirchen – Um künftig im Rahmen einer überörtlichen orthopädischen Berufsausübungsgemeinschaft („BAG“) tätig zu werden, beantragte ein Mitglied der BAG, der Orthopäde Dr. We., beim Zulassungsausschuss („ZA“) der KV Westfalen-Lippe, seinen Vertragsarztsitz an den Vertragsarztsitz eines andernorts niedergelassenen Orthopäden am Zielort zu verlegen. Gleichzeitig sollte der am Zielort zugelassene Orthopäde auf seine Zulassung verzichten und die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens zu Gunsten der BAG beantragen. Diese wollte den Praxissitz nicht selbst, sondern durch den abgebenden Orthopäden als angestelltem Arzt weiter betreiben.

Der ZA hatte gem. § 103 Abs. 3a, Satz 3 SGB V zunächst darüber zu entscheiden, ob der KV-Sitz am Zielort wegen der Versorgungslage überhaupt fortführungsbedürftig war. Nachdem das bejaht wurde, fand die Ausschreibung durch die KV statt. Es bewarben sich die BAG und der Kläger (Dr. Wi.), der die Kassenzulassung am Zielort  persönlich ausüben wollte.

Der ZA traf seine Auswahlentscheidung zugunsten der BAG. Die KV genehmigte dieser daraufhin, den Vertragsarztsitz des abgebenden Orthopäden zu übernehmen und die Praxis künftig mit diesem als angestelltem Arzt fortzuführen. Der Kläger wurde nicht berücksichtigt. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Berufungsausschuss zurück und ordnete die sofortige Vollziehung der Entscheidung an. Dagegen klagte Dr. Wi. Vor dem Landessozialgericht.

Nachdem dieser Klage erhoben hatte, nahm der abgebende Arzt seinen Antrag auf Nachbesetzung jedoch wieder zurück, und beendete die Situation damit vorzeitig. Die Klage des abgelehnten Mitbewerbers, die ursprünglich zulässig gewesen war, wurde somit nachträglich unzulässig. Die Klage wurde vom Sozialgericht denn auch als unzulässig abgewiesen. Dagegen wandte sich Dr. Wi. mit der Sprungrevision zum BSG mit dem Argument, die Rücknahme des Antrags sei unwirksam, da ansonsten einem missbräuchlichen Einfluss des abgebenden Arztes auf das Ausschreibungsverfahren Tür und Tor geöffnet sei. Die Revision des Dr. Wi. zum BSG hatte jedoch keinen Erfolg:

Das Nachbesetzungsverfahren dient den Interessen des abgabewilligen Arztes bzw. seiner Erben. Die Interessen der Bewerber um den Sitz sind nur insoweit zu berücksichtigen, als die Auswahl unter ihnen nach den gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien erfolgt. Auch ein vom ZA ausgewählter Bewerber hat im Verhältnis zum abgabewilligen Arzt immer nur eine tatsächliche Chance auf die Übernahme von Praxis und Vertragsarztsitz, aber keine Rechtsposition, kraft derer die Durchführung des Verfahrens gegen den Willen des abgebenden Arztes verlangt werden könnte“, so das BSG. Ein Bewerber, der nicht ausgewählt worden sei, könne demnach erst recht keine schutzwürdige Rechtsposition erwerben.

https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/2020_02_12_B_06_KA_19_18_R.html

Fazit:

Ein abgabewilliger Arzt hat jedoch bis zur rechtkräftigen Bestellung eines Bewerbers durch die KV die Möglichkeit, das Nachbesetzungsverfahren durch Rücknahme seines Antrags jederzeit zu beenden. Er darf sich dabei zwar von Überlegungen leiten lassen, die sich auf die Person des Bewerbers beziehen; das ist aber gefährlich, denn das Ausschreibungsrecht ist nach Rücknahme des Antrags grundsätzlich erst einmal verbraucht. Der antragsrücknehmende Arzt läuft daher Gefahr, dass die Übergabe ein- für allemal scheitert, wenn er den Antrag nach der Auswahlentscheidung des ZA wieder zurücknimmt oder dem ausgewählten Arzt die Praxis dann doch nicht verkauft, etwa weil ihm der Kaufpreis dieses Kandidaten zu niedrig erscheint, und der nicht ausgewählte Kandidat mehr geboten hatte.

Vorliegend führte die Rücknahme des Ausschreibungsantrags also notwendigerweise zum Scheitern des gesamten Nachbesetzungsverfahrens. Eine erneute Ausschreibung ist nur möglich, wenn für die Rücknahme des Antrags billigenswerte Gründe angeführt werden können. Die Absicht, auf die Auswahl eines bestimmten Nachfolgers hinzuwirken, ist grundsätzlich kein solcher Grund. Auch ob ein zu niedriger Kaufpreis ein solches Kriterium sein kann, ist fraglich. Mit der Rücknahme des Antrags stand das gesamte BAG-Konstrukt somit wieder infrage. Die Rücknahme wird dennoch wohl überlegt gewesen sein. Denn mit der Antragsrücknahme hatte der abgebende Orthopäde immerhin auch auf die Klageerhebung durch den Mitbewerber reagiert, die ein langjähriges sozialgerichtliches Verfahren und somit auch einen langjährigen Schwebezustand bezüglich der Nachbesetzung seines Sitzes und seiner Angestelltentätigkeit in der BAG ausgelöst hatte. Das könnte durch ein erneutes Ausschreibungsverfahren verhindert werden, so die Hoffnung. Das BSG deutete im vorliegenden Fall in der Tat an, dass in dieser Motivation, nämlich der Abkürzung eines jahrelangen Schwebezustandes, tatsächlich ein berechtigtes Interesse des Abgebenden für ein erneutes Nachbesetzungsverfahren liegen könnte.

Dieser Hinweis des BSG-Senats wird Schule machen, denn der zeitliche Schwebezustand ist bei „Konkurrenten“-Klagen im Nachbesetzungsverfahren immer gegeben. Fraglich ist, wie die Konkurrenz dieses Instrument künftig nutzen wird. Im vorliegenden Fall wird die BAG in einem zweiten Nachbesetzungsverfahren die Chancen, die durch § 103 Abs. 4, Satz 5, Ziff. 1 – 9 eröffnet werden, nutzen und gut vorbereiten wollen.

Die Höhe des Kaufpreises, also das wirtschaftliche Interesse des abgebenden Arztes bzw. seiner Witwe, sind jedenfalls kein Kriterium für die Auswahl durch die KV. Die Praxis als Wertanlage scheidet somit seit Einführung des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a SGB V durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. 12. 1992 (BGBl I S. 2266) als Kriterium für die KV’en aus. Auch Kinder sind als Nachfolger nicht gesetzt, es sei denn, sie waren – wie jede/-r angestellte Ärztin/Arzt – bei Eintritt des Erbfalles bzw. bei Abgabe des KV-Sitzes bereits seit mindestens 3 Jahren als Angestellte in der Praxis der Eltern tätig.

https://www.aerztezeitung.de/Politik/Das-hat-das-Gesundheitsstrukturgesetz-gebracht-286232.html

§ 103 Abs. 3a SGB  https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__103.html

1Wenn die Zulassung eines Vertragsarztes in einem Planungsbereich, für den Zulassungsbeschränkungen angeordnet sind, durch Tod, Verzicht oder Entziehung endet, und die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll, entscheidet der Zulassungsausschuss auf Antrag des Vertragsarztes oder seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben, ob ein Nachbesetzungsverfahren nach Absatz 4 für den Vertragsarztsitz durchgeführt werden soll. 2Satz 1 gilt auch bei Verzicht auf die Hälfte oder eines Viertels der Zulassung oder bei Entziehung der Hälfte oder eines Viertels der Zulassung; Satz 1 gilt nicht, wenn ein Vertragsarzt, dessen Zulassung befristet ist, vor Ablauf der Frist auf seine Zulassung verzichtet. 3Der Zulassungsausschuss kann den Antrag ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist; dies gilt nicht, sofern die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden soll, der dem in Absatz 4 Satz 5 Nummer 4, 5 und 6 bezeichneten Personenkreis angehört oder der sich verpflichtet, die Praxis in ein anderes Gebiet des Planungsbereichs zu verlegen, in dem nach Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund einer zu geringen Ärztedichte ein Versorgungsbedarf besteht oder sofern mit der Nachbesetzung Festlegungen nach § 101 Absatz 1 Satz 8 befolgt werden. 4Für einen Nachfolger, der dem in Absatz 4 Satz 5 Nummer 4 bezeichneten Personenkreis angehört, gilt Satz 3 zweiter Halbsatz mit der Maßgabe, dass dieser Nachfolger die vertragsärztliche Tätigkeit in einem Gebiet, in dem der Landesausschuss nach § 100 Absatz 1 das Bestehen von Unterversorgung festgestellt hat, nach dem 23. Juli 2015 erstmals aufgenommen hat. 5Für einen Nachfolger, der dem in Absatz 4 Satz 5 Nummer 6 bezeichneten Personenkreis angehört, gilt Satz 3 zweiter Halbsatz mit der Maßgabe, dass das Anstellungsverhältnis oder der gemeinschaftliche Betrieb der Praxis mindestens drei Jahre lang angedauert haben muss. 6Satz 5 gilt nicht, wenn das Anstellungsverhältnis oder der gemeinschaftliche Praxisbetrieb vor dem 5. März 2015 begründet wurde. 7Hat der Landesausschuss eine Feststellung nach Absatz 1 Satz 3 getroffen, soll der Zulassungsausschuss den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist. 8Im Fall des Satzes 7 gelten Satz 3 zweiter Halbsatz sowie die Sätze 4 bis 6 entsprechend; Absatz 4 Satz 9 gilt mit der Maßgabe, dass die Nachbesetzung abgelehnt werden soll. 9Der Zulassungsausschuss beschließt mit einfacher Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit ist dem Antrag abweichend von § 96 Absatz 2 Satz 6 zu entsprechen. 10§ 96 Absatz 4 findet keine Anwendung. 11Ein Vorverfahren (§ 78 des Sozialgerichtsgesetzes) findet nicht statt. 12Klagen gegen einen Beschluss des Zulassungsausschusses, mit dem einem Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens entsprochen wird, haben keine aufschiebende Wirkung. 13Hat der Zulassungsausschuss den Antrag abgelehnt, hat die Kassenärztliche Vereinigung dem Vertragsarzt oder seinen zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben eine Entschädigung in der Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis zu zahlen. 14Bei der Ermittlung des Verkehrswertes ist auf den Verkehrswert abzustellen, der nach Absatz 4 Satz 8 bei Fortführung der Praxis maßgeblich wäre.“

  • 103 Abs. 4 Satz 5 Ziff. 6:

„Bei der Auswahl der Bewerber sind folgende Kriterien zu berücksichtigen:

  1. ob der Bewerber ein angestellter Arzt des bisherigen Vertragsarztes oder ein Vertragsarzt ist, mit dem die Praxis bisher gemeinschaftlich betrieben wurde,

  1. bei medizinischen Versorgungszentren die Ergänzung des besonderen Versorgungsangebots; dies gilt entsprechend für Vertragsärzte und Berufsausübungsgemeinschaften mit einem besonderen Versorgungsangebot.“

Swiss „gategroup“ goes to London to get their restructuring plan („scheme of arrangement“) sanctioned.

Die schweizerische Luftfahrt-Servicegesellschaft Gategroup hat beim High Court in London einen Antrag auf Zulassung und Genehmigung eines Restrukturuierungsplans für eine Gläubigergruppe gestellt. Während das frühere „scheme-of-arrangement“ gesellschaftsrechtlich angeknüpft werden konnte, jedenfalls soweit es shareholders betraf, wird das neue EU-Restrukturierungsverfahren, dass GB in nationales Recht umgesetzt hatte, als Insolvenzverfahren eingestuft. Das Luganer Abkommen, das die Schweiz mit der EU abgeschlossen hat, schließt Insolvenzverfahren aber aus, so dass London die Zuständigkeit ablehnen, und die Schweiz einer Entscheidung durch den High Court später die Anerkennung verweigern könnte. Der High Court wird also zunächst zu entscheiden haben, ob das Luganer Abkommen Anwendung findet oder nicht. Die Anwälte der Gategroup haben zudem vorsichtshalber vorgetragen, dass Gategroup dieses Verfahren nirgendwo anders durchführen kann als vor den englischen Gerichten, und hoffen so auf Annahme des Verfahrens. Dieses Argument war auch früher schon sehr erfolgreich vor englischen Gerichten. Britannia rules eben the waves!

In der Sache geht es wohl um die Genehmigung eines Schuldenerlasses gegenüber einer bestimmten Gläubigergruppe.

Wenn London sich für zuständig erklären sollte, wäre die Schweiz daran nicht gebunden, wenn man dort das Luganer Abkommen auf den Fall nicht für anwendbar hält. Ob eine Nation einen ausländischen Gerichtsakt anerkennt und auch im Inland umsetzt oder nicht, entscheidet jeder Staat für sich selbst, und zwar auf Basis seiner bi- und multilateralen Staatsverträge und/oder seines eigenen Internationalen Zivil- und Zivilprozessrechts.

Here’s the full article:

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https://globalrestructuringreview.com/financial-restructuring/swiss-airline-group-seeks-convening-hearing-english-restructuring-plan?utm_source=Heads-Up%3A+Khurshid+Fazel+at+Webber+Wentzel+in+South+Africa&utm_medium=email&utm_campaign=GRR+Alerts

CovInsAG, Insolvenzantragspflicht für Geschäftsführer im Januar 2021?

Der Gesetzgeber hat im COVInsAG eine erneute Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Januar 2021 für diejenigen Unternehmen vorgesehen, die im November oder Dezember 2020 die so genannten Novemberhilfen bantragt haben. Da der Lock-down verlängert worden ist und noch weiter verlängert werden soll, könnte die Aussetzung ebenfalls  nochmals verlängert werden.

Aber Vorsicht: Die übrigen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Insolvenzantragspflicht müssen natürlich auch erfüllt sein:

In a nutshell:

  • Am 31.12.2019 musste das Unternehmen noch zahlungsfähig gwesen sein. Dann wird vermutet, dass eine spätere Krise auf dem Lockdown beruht. Die Antragspflicht wurde für diese Unternehmen – nach Verlängerung – bis zum 31.12.2020 ausgesetzt. Gehen Sie also JETZT hin und stellen Sie einen Liquiditätsstatus zum 31.12.2019 (!) auf und verwahren Sie ihn gut!
  • Dann ging der Gesetzgeber weiter in die Verlängerung, aber nicht für zahlungsunfähige Unternehmen:

Seit dem 01.01.2021 haben wir deshalb folgende Situation:

  • GmbH (& Co’s), AG (& Co’s) etc. dürfen im Januar bilanziell  überschuldet, aber nicht zahlungunfähig sein! D.h. wer sich genug Kredit verschaffen konnte, um zahlungsfähig zu bleiben, muss keinen Insolvenzantrag stellen, auch wenn er hoffnungslos überschuldet ist. Das ist aber auch ohne Pandemie schon so: Wenn ein Unternehmen überschuldet ist, mit dem geliehenen Geld aber einstweilen fortbestehen kann, besteht sowieso nie eine Insolvenzantragspflicht.

Ist die Kapitalgesellschaft aber zahlungsunfähig (mit oder ohne bilanzielle Übeschuldung), dann hatte die Befreiung von der Antragspflicht am 31.12.2020 geendet und ab dem 01.01.2021 muss der Antrag gestellt werden, und zwar auch dann, wenn die Novemberhilfen beantragt wurden (und demnächst auch fließen).

Das macht alles keinen Sinn. Es ist aber für einen Geschäftsführer gefährlich, weil die Situation in einem späteren Insolvenzverfahren Jahre später rückwürkend überprüft werden wird. Wird dann festgestellt, dass der GF den Antrag bereits im Januar 2021 hätte stellen müssen, wil eines der Kriterien nciht erfüllt war, wird er persönlich haftbar gemacht. Allerdiings muss der Insolvenzverwalter das alles herausfinden und bewerten; das bietet einen gewissen Schutz.

Der Gang zum Insolvenzgericht kann sich aber durchaus lohnen, denn das Gesetz bietet Unternehmern und Unternehmerinnen sehr gute Möglichkeiten, sich ohne Verlust der Existenz von erheblichen Altlasten zu befreien. Der Antrag muss nur richtig gestellt werden, dann

  • vermeiden Sie die persönliche Haftung,
  • werden von allen Schulden befreit
  • und behalten auch noch Ihr Unternehmen und Ihre Existenz und erhalten  die Chance für einen
  • fresh start
  • Nur Geld verdienen müssen Sie dann noch selbst!

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Das StaRuG – Der außergerichtliche Restrukturierungsrahmen aus Sicht der Gläubiger (D)

Am 01.01.2021 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz über die außergerichtliche Schuldenbereinigung für Unternehmen in Kraft gesetzt (StaRuG). Damit wird die EU-Richtlinie über den präventiven Restrukturierungsrahmen in deutsches Insolvenzrecht umgesetzt. Für Sie als Gläubiger ändert sich – im Vergleich zur Eigenverwaltung – eigentlich gar nichts. Das Verfahren ist genauso intransparent und schuldnerfreundlich gestaltet wie die Eigenverwaltung und das Insolvenzplanverfahren und mit einer Rechtsaufsicht durch die Gerichte ist weiterhin nicht zu rechnen.

Hier ist das StaRuG in a nutshell (formuliert für Gläubiger, die nicht in die Restrukturierungsverhandlungen einbezogen wurden):

Das Gesetz sieht auch hier wieder einen Vergleich mit Unterwerfungszwang vor, in dem Sie als Gläubiger – sofern Sie mit dem Ergebnis nicht einverstanden sind – überstimmt werden können. Für Sie als Gläubiger ändert sich im Vergleich zum Insolvenzplan also gar nichts: Hier wie dort können Sie überstimmt werden und hier wie dort muss das Gericht den Plan bestätigen. Davon darf man sich allerdings keine höhere Prüfungskompetenz erwarten als bisher: Geprüft wird in der Praxis allenfalls die Einhaltung der Formalien.

Auf Antrag kann ein Schuldner-Unternehmen, das sich entschulden will, einen sog. „automatic stay“ erwirken, d.h. eine einstweilige Einstellung aller Vollstreckungsmaßnahmen. Das ist bei der Eigenverwaltung auch der Fall. Ihr Schuldner kann dann in Ruhe diejenigen Verbindlichkeiten abschütteln, die er sich nicht mehr leisten mag. Bestimmte Gläubiger werden aber nach gusto bevorzugt (weil es ja keiner merkt) und die gesamte persönliche Haftung der Gesellschafter und Geschäftsführer, etwa für Insolvenzverschleppung, wird unter den Teppich gekehrt. Irgendwann bekommen Sie von Ihrem Geschäftspartner ein Schreiben, in dem der Zwangsvergleich präsentiert wird, der mit  bestimmten Gläubigern zuvor bereits ausgehandelt wurde – nur mit Ihnen leider nicht. Wenn Sie nicht einverstanden sind, werden Sie von den Mehrheitsgläubigern einfach überstimmt. Das ist alles – genau wie bei der Eigenverwaltung und im Insolvenzplanverfahren – bestens vorbereitet. Das Gericht schaut noch weniger drauf als bei der Eigenverwaltung, also können die Schuldner und ihre Berater noch besser gestalten, wie und was sie wollen. Das Gericht prüft anschließend zwar noch die Formalien, aber das wäre aus meiner Sicht auch entbehrlich.

Beim zuständigen Gericht tut der Gesetzgeber sich wieder schwer: Es soll ein sog. „Restrukturierungsgericht“ geben. Der Gesetzgeber will dadurch mehr Kompetenz auf Seiten der Richter herbeizaubern. Heureka! Er sucht die Kompetenz bei den Amtsgerichten an den OLG-Standorten. Der Fortbildungsdrang ist dort allerdings genauso niedrig wie in der Fläche.

Der sog. „Restrukturierungsbeauftragte“, den das Gesetz jetzt an Stelle des Sachwalters vorsieht, wird – wie bei der Eigenverwaltung auch – vom Schuldner und seinen Beratern handverlesen ausgesucht. Das sind eingefahrene Strukturen, die wechselseitig voneinander leben. Von dessen „Überwachung“ brauchen Sie also auch kein gläubigerschützendes Engagement zu erwarten. Das müssen Sie selbst erledigen.

Glücklicherweise wurde auf die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit der einseitigen Vertragsauflösung verzichtet: Wer sich als Schuldner einseitig von ungünstigen Verträgen lösen will, muss eben ein gerichtliches Insolvenzverfahren betreiben (da steht es dann für alle Verträge im Gesetz!). Eine Vertragsauflösung im außergerichtlichen Verfahren hätte vom Gericht bestätigt werden müssen, aber der Gesetzgeber fand, dass die Insolvenzrichter in Deutschland keine ausreichende Kompetenz haben, um die Angemessenheit dieser Maßnahme beurteilen zu können. Jetzt haben wir es amtlich! Dabei stimmt das gar nicht: Die Vorsitzenden der KfH haben diese Kompetenz natürlich, und ihre Handelsrichter auch. Aber der Gesetzgeber will diese Richter auf gar keinen Fall mit Unternehmensinsolvenzen befassen (die Amtsgerichtsdirektoren könnten dadurch dramatisch an Bedeutung – und womöglich an Gehalt – verlieren, was den Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttern würde), und von den Richtern und Richterinnen der Vollstreckungsabteilungen kann diese Kompetenz natürlich nicht erwartet werden. Das Ergebnis ist also richtig, die Begründung mal wieder – blamabel.

Die gute Nachricht ist, dass Ihre dinglichen Sicherheiten zunächst nicht angetastet werden. Die Schuldner werden aber versuchen, sie im Zwangsvergleich zu beschneiden, oder/und andere dingliche Sicherheiten herzuzaubern, die bereits seit langem untergegangen waren. Das Modell findet sich im gerichtlichen Insolvenzplanverfahren ganz genauso, wenn man nicht aufpasst. Ihre Position als Gläubiger entspricht im Ergebnis daher exakt Ihrer Position im Eigenverwaltungs- und im gerichtlichen Insolvenzplanverfahren: Hier wie dort erfahren Sie nichts, die Gerichte sind nicht hilfreich und im Übrigen eher gläubigerfeindlich, und am Ende des Tages werden Sie sowieso überstimmt, weil alles schon mit den Mehrheitsgläubigern abgestimmt war. Um das anders zu handhaben, brauchen Sie eine exzellente, schnelle und sehr praxisnahe Rechtsberatung an Ihrer Seite und eine Warenkreditversicherung.

Meine Handlungsempfehlung an Sie als Gläubiger lautet deshalb im Hinblick auf das StaRuG lediglich,

  1. die Risiko-Engagements Ihres Hauses jetzt nochmal konkret zu identifizieren und zu beziffern,
  2. entsprechende Rückstellungen zu bilden (falls Sie sich gegen eine WKV entscheiden) und
  3. sie auf ausreichende WKV-Deckung hin zu überprüfen (bei der Deckung müssen Sie auch die Anfechtungsrisiken identifizieren und einrechnen).

Bei der korrekten Handhabung im außergerichtlichen Restrukturierungsverfahren unterstütze ich Sie natürlich mit der gewohnten Kompetenz und Praxisnähe. Sprechen Sie mich bitte einfach an.

 

08.01.2020 – Barbara Brenner, Rechtsanwältin

Lockdown wegen Corona-Pandemie: Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hält Ausgangsbeschränkungen (inzwischen) für verfassungswidrig

Ein saarländischer Bürger hatte sich über die von der saarländischen Landesregierung verhängten Ausgangssperren beschwert und ist den Weg bis zum Verfassungsgericht des Landes gegangen – mit Erfolg!

Am 28.04.2020 hat der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes laut einer Pressemitteilung beschlossen, dass Ausgangsbeschränkungen, die die Landesregierung am 17. April 2020 durch Rechtsverordnung verhängt hatte, verfassungswidrig sind. Im besonders schwer betroffenen deutsch-französischen Grenzgebiet – so der Verfassungsgerichtshof – waren die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie durchaus geboten, allerdings müssen die mit den Ausgangsbeschränkungen verbundenen Grundrechtseingriffe „Tag für Tag“ auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden.Pressemitteilung vom 28.4.2020 (Corona)

„Verhältnismäßigkeit“ bedeutet im verfassungsrechtlichen Sinn, dass eine Grundrechtseingriff nur dann verfassungsmäßig ist, wenn
– die Maßnahme grundsätzlich geeignet ist, ein – verfassungsrechtlich unbedenkliches – Ziel zu erreichen,
– ferner darf es kein milderes geeignetes Mittel geben, um das Ziel zu erreichen, und
– der Eingriff muss „verhältnismäßig im engeren Sinne“ sein, d.h. die Schwere der Verletzung des Grundrechts muss gegen das Ziel, das erreicht werden soll, abgewogen werden und gegenüber diesem Ziel zurück treten.

Bei dieser „großen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt natürlich der Dauer und der kreativen Ausgestaltung des Grundrechtseingriffs Bedeutung zu.

Und natürlich muss die Maßnahme auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, denn kein Grundrechtseingriff ist ohne gesetzliche Ermächtigung zulässig. Das Infektionsschutzgesetz (früher: Bundesseuchengesetz) ist eine solche Grundlage.

Drive slow and win the race: Der neue Bußgeldkatalog 2020

Seit dem 28.04.2020 gilt der neue Bußgeldkatalog. Eine alt-neu-Übersicht für Geschwindigkeitsüberschreitungen finden Sie hier:

Bußgeldkatalog 2020 (neu-alt)

Neben den Geschwindigkeitsüberschreitungen wird auch Falschparken und unnötige Lärmbelästigung strenger geahndet:

Parken an einer unübersichtlichen Stelle: 35 Euro (bisher 15 Euro)
Parken in einer Feuerwehrzufahrt: 55 Euro (bisher 35 Euro)
Parken auf einem Behindertenparkplatz: 55 Euro (bisher 35 Euro)
Parken in zweiter Reihe mit Behinderung: 80 Euro plus ein Punkt (bisher 25 Euro)
Halten in zweiter Reihe: 55 Euro (bisher 15 Euro)
Verursachen von unnötigem Lärm oder Abgasbelästigung (zum Beispiel Auto im Winter warm laufen lassen): 80 Euro (bisher 10 Euro)
unzulässiges Befahren einer Umweltzone: 100 Euro (bisher 80 Euro)

Also: Benehmen sie sich!

Ärgernis der Woche: Weiterbelieferungsvereinbarungen mit dem Insolvenzverwalter ohne „VVV“

Wenn der (vorläufige) Insolvenzverwalter Weiterbelieferung braucht, dann nehmen Sie bitte UNBEDINGT, IMMER und OHNE AUSNAHME den Mustervertrag „Verwaltungs-, Verfügungs- und Verwertungsvereinbarung („VVV“) zur Hand und kombinieren Sie die Weiterbelieferungsvereinbarung IMMER mit der Vereinbarung über die Handhabung Ihrer Kreditsicherheiten. Damit können Sie den Verwalter auf ein bestimmtes Procedere – und vor allem auf ein bestimmtes timing – bei der Identifizierung und Abgrenzung Ihrer Sicherheiten, der Abrechnung und der Auszahlung von Erlösen aus der Verwertung von Sicherheiten etc. festlegen. Danach haben Sie nie wieder eine Handhabe gegen den Verwalter. Und das kostet richtig Zeit und damit Geld – aber nicht den Verwalter!

Eine qualifizierte Beratung und Muster-Formulierungen bekommen Sie natürlich von unserer Kanzlei.

Bitte rufen Sie gerne an: 0228-30898-0

oder mailen Sie an: office@bbrenner.com

 

Klage gegen Geschäftsführer abgewehrt – Kanzlei BRENNER vertritt Geschäftsführer im Rahmen einer Klage nach § 64 GmbHG.

Das LG Darmstadt – KfH – hat die Klage eines Insolvenzverwalters gegen den Geschäftsführer eines großen Druckereibetriebes in der Nähe von Offenbach wegen Insolvenzverschleppungshaftung nach § 64 GmbHG vollumfänglich abgewiesen. Da der Insolvenzverwalter die gesamte EDV-hardware verkauft und vor dem Verkauf weder Sicherungskopien gezogen noch die Festplatten ausgebaut und sichergestellt hatte, konnte der Geschäftsführer die Beweisführung für seine Verteidigung nicht erbringen.

Kanzlei BRENNER hatte zur Entlastung des Geschäftsführers korrekt und vollständig vorgetragen und Beweis angeboten. Die Kammer war der Ansicht, dass sich wegen der Vernichtung der Beweismittel die Beweislast zu Lasten des Insolvenzverwalters umgekehrt hatte. Da dieser – naturgemäß – ebenfalls keinen (Gegen-)Beweis antreten konnte, sahen die Richter es deshalb nicht als erwiesen an, dass die GmbH in dem streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich zahlungsunfähig war. Sie sahen es dagegen als erwiesen an, dass der Geschäftsführer die Aktivmasse im streitgegenständlichen Zeitraum durch die Fortführung des Betriebes im Vergleich zum Stichtag der angeblichen Antragspflicht vermehrt und auch den Verkaufswert des Unternehmens erheblich gesteigert hatte.

Die entsprechenden Daten konnten dem Eröffnungsgutachten des Insolvenzverwalters sowie den späteren Sachstandsberichten entnommen werden. Ob die einzelnen Zahlungsausgänge dafür kausal waren, unterlag der Beweislastumkehr und musste damit – zu Lasten des Klägers – offen bleiben.

Der Kläger hat Berufung eingelegt.

(LG Darmstadt, Az. 15 O 39/17, Urt. v. 28.05.2018)
(AG Offenbach, 8 IN 485/12)

Gebrauchtwagenkauf: Standzeit von über zwölf Monaten vor Erstzulassung Sachmangel?

„Der BGH verhandelt am 29. Juni 2016, 10.00 Uhr, zum Thema Gebrauchtwagenkauf: Ist eine Standzeit von über zwölf Monaten vor Erstzulassung ein Sachmangel im Sinne von § 434 BGB?

In diesem Verfahren streiten die Parteien darüber, ob ein zwei Jahre und vier Monate nach der Erstzulassung verkaufter Gebrauchtwagen mangelhaft ist, weil das Fahrzeug zwischen Herstellung und Erstzulassung mehr als zwölf Monate gestanden hatte.

Der Kläger kaufte im Juni 2012 von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin, einen Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 38.616 km zu einem Preis von 33.430 €. Im Kaufvertragsformular war unter der Rubrik „Datum der Erstzulassung lt. Fzg.-Brief“ der 18. Februar 2010 eingetragen. Ein Baujahr wurde nicht genannt. Später erfuhr der Kläger, dass das Fahrzeug bereits am 1. Juli 2008 hergestellt worden. Nach Ansicht des Klägers begründet diese Länge der Standzeit vor Erstzulassung (19 ½ Monate) einen Sachmangel des Kraftfahrzeugs. Er ist deshalb vom Kaufvertrag zurückgetreten und verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises. Zu Recht?

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen, die Revision allerdings ausdrücklich zugelassen.“

BGH, Pressemitteilung vom 11.05.2016 – VIII ZR 191/15

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