Stichtag 01.07.2021 – Neues für Creditmanager

– Die neuen P-Konto-Freibeträge sind in Kraft:
Schuldner können (und müssen auch!) einen Berichtigungsantrag stellen!

– Die neue Lohnpfändungstabelle ist in Kraft:
Die neuen Pfändungsfreigrenzen sind vom Arbeitgeber von Amts wegen zu beachten, und zwar auch dann, wenn kein Berichtigungsantrag eingeht! Bekommt der Gläubiger zuviel ausbezahlt, kann der Schuldner wegen des Differenzbetrages Verzugszinsen und Verzugsschaden (also Anwaltsgebühren für das Aufforderungsschreiben!) geltend machen.

– Der Basiszinssatz bleibt unverändert bei -0,88 %
Ich darf allerdings daran erinnern, dass der Verzugszinssatz seit 2014 für Entgeltforderungen im b2b-Geschäft 9 Prozentpunkte über dem o.g. Basiszinssatz der EZB lautet (viele AGB sehen noch 8 Prozentpunkte vor!). Bei einem Zahlungsziel von 30 Tagen tritt erst am 61. Tag Verzug ein, d.h. die Verzugszinsen können auch erst ab dem 61. Tag berechnet werden.
Im b2b-Geschäft gewährt das Gesetz Ihnen allerdings vom Zeitpunkt der Lieferung an bis zum Eintritt des Verzugs einen Überbrückungszins in Höhe von 5 % fix (sog. „Fälligkeitszins„, §§ 352, 353 HGB). Dieser Zinszeitraum ist in den Formular-Mahnanträgen der Justizverwaltungen leider nicht vorgesehen. Diese Zinsen müssen deshalb später, nach Übergang ins Klageverfahren im Wege der Klageerweiterung gesondert eingeklagt werden.

Bei Forderungsanmeldungen im Insolvenzverfahren können Sie diese Fälligkeitszinsen aber durchaus mit geltend machen, auch wenn Sie das vorher noch nicht von Ihrem Schuldner beansprucht hatten. Sie müssen dazu nur die Fälligkeitsvoraussetzungen nachweisen (Übergabe der Ware, Zugang der Rechnung). Zahlungsziele hindern Sie daran jedenfalls nicht.

Forderungsabtretung und Durchsetzung von Gläubigerrechten als Inkassodienstleistung nach Insolvenz von Air Berlin zulässig

Urteil vom 13. Juli 2021 – II ZR 84/20

Der II. Zivilsenat hat heute entschieden, dass ein sogenanntes Sammelklage-Inkasso zulässig ist. In dem vorliegenden Fall wurden Gläubigerrechte, hier die Schadensersatzansprüche aus der Geschäftsführerhaftung wegen Insolvenzverschleppung (§ 15b InsO, früher: § 64 GmbHG), an das klagende Inkassounternehmen abgetreten und von diesem – gegen Provision – im Wege einer „Sammel“-Klage gerichtlich geltend gemacht.

Zu klären war hier zunächst die Frage, ob die Klage zulässig war, d.h., ob das Inkassounternehmen berechtigt war, sich Forderungen abtreten zu lassen und diese gegen Provision gerichtlich geltend zu machen.

Der BGH hat diese Befugnis dem Grundsatz nach bejaht, zur Provision allerdings keine Aussage getroffen. Eine Provisionsnahme ist Anwälten bislang nicht erlaubt.

Sachverhalt und Prozessverlauf:

Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ist als Rechtsdienstleisterin für Inkassodienstleistungen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG) registriert. Auf einer von ihr betriebenen Webseite warb sie dafür, Ansprüche gegen die zwischenzeitlich insolvente Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG auf Rückzahlung des Flugpreises gesammelt über sie geltend zu machen. Den Kunden sollten keine Kosten entstehen, die Klägerin im Erfolgsfall 35% der Nettoerlöse aus dem Forderungseinzug erhalten.

Aus abgetretenem Recht hat die Klägerin Schadensersatzansprüche von insgesamt sieben Kunden gegen den ehemaligen Geschäftsleiter der Air Berlin eingeklagt, da er verspätet Insolvenzantrag gestellt habe (Insolvenzverschleppung, Geschäftsführerhaftung, § 15b InsO). Die Kunden haben zwischen Mai und Juli 2017 Flüge bei Air Berlin gebucht und bezahlt, die aufgrund der Insolvenz nicht mehr durchgeführt wurden.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die hier zu beurteilende Tätigkeit der Klägerin von ihrer Befugnis gedeckt ist, Inkassodienstleistungen zu erbringen. Vom Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG werden Geschäftsmodelle miterfasst, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Dies gilt auch für das sogenannte Sammelklage-Inkasso, bei dem mehrere Forderungen gesammelt und gebündelt gerichtlich geltend gemacht werden.

Weder dem Wortlaut noch der Systematik der § 1 Abs. 1 Satz 1, § 3 RDG lässt sich entnehmen, dass solche Inkassoformen keine zulässigen Rechtsdienstleistungen sind. Bei einer am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes, die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen, orientierten Würdigung erfasst der Begriff der Inkassodienstleistung unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters (Art. 12 Abs. 1 GG) auch Inkassomodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf die gerichtliche Einziehung von Forderungen abzielen, selbst wenn dazu eine Vielzahl von Einzelforderungen gebündelt werden.

Der Klägerin ist ihre Tätigkeit auch nicht wegen der Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht nach § 4 RDG verboten. Ein Interessenkonflikt, der eine entsprechende Anwendung des § 4 RDG auf den vorliegenden Fall rechtfertigen könnte, liegt nicht vor.

Da der Klägerin mit dem Sammelklage-Inkasso kein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz zur Last fiel, war die zwischen den Kunden von Air Berlin und der Klägerin vereinbarte Abtretung wirksam. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Kammergericht in Berlin zurückverwiesen, damit weitere Feststellungen zum Bestehen der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche wegen Insolvenzverschleppung nachgeholt werden können.

Das Urteil in der Entscheidungssammlung des BGH als PDF: Urteil des II. Zivilsenats vom 13.7.2021 – II ZR 84/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

  • 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) – Anwendungsbereich

(1) 1Dieses Gesetz regelt die Befugnis, in der Bundesrepublik Deutschland außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. 2Es dient dazu, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen.

[…]

  • 2 RDG – Begriff der Rechtsdienstleistung

(1) Rechtsdienstleistung ist jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.

(2) 1Rechtsdienstleistung ist, unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1, die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (Inkassodienstleistung). […]

  • 3 RDG – Befugnis zur Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen

Die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen ist nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch dieses Gesetz oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird.

  • 4 Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht

Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, dürfen nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird.

  • 10 RDG Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) 1Natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:

  1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),

[…]

Vorinstanzen:

Landgericht Berlin – Urteil vom 31. Juli 2019 – 26 O 355/18

Kammgericht – Urteil vom 3. April 2020 – 14 U 156/19

Quelle:

Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 2021

Diebstahl der Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Berliner Bode-Museum aufgeklärt, Täter rechtskräftig verurteilt

Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat hat über die Revisionen von zwei Angeklagten entschieden, die an dem Diebstahl der 100 Kg schweren Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Berliner Bode-Museum beteiligt waren.

Und das war passiert:

Nach den Feststellungen des Landgerichts arbeitete einer der Angeklagten als Aufsichtsperson im Berliner Bode-Museum, in dem die etwa 100 kg schwere Goldmünze „Big Maple Leaf“ im Wert von ungefähr 3,3 Millionen Euro ausgestellt war. Hiervon sowie von Schwachstellen in der Alarmsicherung des Museums berichtete der Angeklagte dem mit ihm befreundeten Mitangeklagten. Dieser begab sich am frühen Morgen des 27. März 2017 zusammen mit einem Cousin und einer unbekannt gebliebenen Person auf die Hochbahngleise der Berliner Stadtbahn, die unmittelbar an einen Dachvorsprung des Museums grenzen. Von dort kletterten sie zum Fenster eines Umkleideraums, das der im Museum beschäftigte Angeklagte unbemerkt offengelassen hatte, und gelangten so in das Innere. Unterrichtet über die räumlichen Verhältnisse und die Kontrollroute des Wachmanns, während der die Alarmanlage deaktiviert war, gelangten sie unbemerkt zu der in einer Glasvitrine ausgestellten Goldmünze. Sie zerschlugen das Glas und brachten mit einem Rollbrett und einer Schubkarre das Diebesgut über das Einstiegsfenster und die Bahngleise bis zu einer Stelle, an der sie die Münze von den Gleisen warfen, sich selbst abseilten und mit dem Fahrzeug eines weiteren Tatbeteiligten flüchteten. Die Münze wurde kurz nach der Tat zerteilt und einzelne Teile stückweise verkauft. Der Verbleib des Goldes konnte nicht festgestellt werden.

Ihre Verurteilungen haben beide Angeklagten mit Sachrügen, einer von ihnen zudem mit einer Verfahrensrüge, angegriffen. Der 5. Strafsenat hat beide Rechtsmittel verworfen. Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, auch das Verfahren war nicht zu beanstanden. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

BGH, Beschluss vom 24. Juni 2021 – 5 StR 67/21

Vorinstanz:

Landgericht Berlin – Urteil vom 20. Februar 2020 – 509 KLs 233 Js 1601/17 (41/18)

Quelle:

Pressestelle des Bundesgerichtshofs, Mitteilung vom 13. Juli 2021

Urteil v. 6.5.2021 – BGH leitet Kehrtwende im Anfechtungsrecht ein

Vermutungen, Indizien und fragwürdige Erfahrungssätze – das waren die Säulen, auf denen die Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO seit nunmehr über 15 Jahren beruht. Für die Insolvenzverwalter bedeutete das leichtes Spiel: Zielüberschreitungen und mehrfache Zahlungsstockungen reichten aus, um das Inkasso von bis zu 10 Jahren zunichte zu machen. Erhebliche Zahlungen mussten zurückgezahlt werden, obwohl die Leistung vereinbarungsgemäß erbracht war. Der Grund dafür lag in der Vermutung, dass ein Schuldner, der seine Zahlungsunfähigkeit kennt, mit der Zahlung an einen Gläubiger den Ausfall anderer Gläubiger vorsätzlich in Kauf nahm. Vorsatz setzt aber (positive) Kenntnis von der eigenen Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne und die sichere Annahme von den gläubigerschädigenden Folgen voraus. „Kann sein, dass hier Gläubiger geschädigt werden, ich zahle meinen Lieferanten aber auf jeden Fall“ oder „Da passiert nix“, das sind die Testfragen, mit denen Vorsatz von Fahrlässigkeit abgegrenzt wird. Das hatte im Anfechtungsrecht aber nie stattgefunden. Ob der Schuldner die objektive Zahlungsunfähigkeit, also die Unbehebbarkeit des Mangels an Zahlungsmitteln, tatsächlich kannte, oder ob er nur von einer vorübergehenden Zahlungsstockung, also von einem behebbaren Zustand, ausgegangen war, wurde nie näher untersucht. Die Gerichte waren immer der Meinung, dass ein Schuldner, der zahlungsunfähig war, diesen Umstand auch zu kennen hatte. Ob er nur von einer vorübergehenden Zahlungsstockung ausging, ob er die Definition des BGH überhaupt kannte (Unterdeckung von 10 % der fälligen Forderungen reicht aus), oder ob er von der betriebswirtschaftlichen Definition ausgegangen war (Liquidität 1., 2. und 3. Grades), das wurde nie untersucht. Ob dem Schuldner bewusst war, dass andere Gläubiger durch die konkrete Zahlung tatsächlich endgültig ausfallen werden, auch das wurde nie untersucht. Der Vorsatz des Schuldners war deshalb für die Anfechtungsgegner bisher kaum zu widerlegen.

Auch bei der Kenntnis des Geschäftspartners von diesem (angeblichen) Vorsatz war der BGH bisher sehr apodiktisch:

Zielüberschreitungen, Ratenzahlungsbitten, Vollstreckungsversuche, all das reichte als Indikator für eine Zahlungseinstellung aus; damit hatte der Geschäftspartner gleichzeitig Kenntnis von dem Vorsatz des Schuldners und wurde zur Rückzahlung von sämtlichen Zahlungseingängen aus dem Inkasso verurteilt.

Meine Kanzlei hatte in allen Anfechtungsprozessen die Meinung vertreten, dass es auf den Empfängerhorizont ankommt, auf die Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr, vor allem aber auf die internen Mahn- und Insolvenzstatistiken ihrer Mandanten und die überwiegend positiven Erfahrungswerte mit Ratenzahlungsvereinbarungen in der Branche. Zu Recht, wie sich jetzt herausstellt:

Mit Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20 – hat der BGH nun – in neuer und jüngerer Besetzung – ein Urteil des Landgerichts Bonn aufgehoben, weil weder der Vorsatz ausreichend dargelegt wurde noch ausreichende Indikatoren für eine Kenntnis des Zahlungsempfängers von diesem angeblichen Vorsatz vorhanden waren.

Mit diesem Urteil bestätigt der BGH seine neue Linie, von pauschalen Vermutungen abzurücken und auf das konkrete Bewusstsein des Schuldners und auch des Anfechtungsgegners abzustellen. Bereits im Jahr 2019 hatte der BGH vorsichtig begonnen, das Bewusstsein des Schuldners näher untersuchen zu lassen (BGH-Urteile IX ZR 238/18, 258/18, 259/18 und 264/18). Daran könne es fehlen, so der BGH, wenn der Schuldner sich vorgestellt hatte, durch die Zahlungen werde das Vermögen des Unternehmens künftig angereichert, etwa durch Ausgleichszahlungen aus der Urlaubskasse der SOKA-Bau. In dem Fall 264/18 war der Schuldner möglicherweise davon ausgegangen, dass sein Guthaben unpfändbar war und der künftigen Masse also gar nicht zuzurechnen war. Die Rechtsstreitigkeiten wurden jeweils an die Ursprungsgerichte zur näheren Aufklärung zurückverwiesen. So jetzt auch in dem Fall des LG Bonn.

Der BGH hat diese Tendenz jetzt aber nicht nur im Hinblick auf den fehlenden Vorsatz des Schuldners verfestigt: Auch im Hinblick auf die Erkenntnismöglichkeiten des Geschäftspartners und Zahlungsempfängers stellt der BGH jetzt erstmalig klar, dass es insoweit auf den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners ankommt. Hierzu muss natürlich vorgetragen werden.

Und last but not least:

Eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit ist kein geeigneter Indikator für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz!

Damit wendet der BGH die Anfechtungsreform auch auf Alt-Fälle an, wonach die drohende Zahlungsunfähigkeit bei kongruenter Deckung nicht ausreichend ist (§ 133 Abs. 3 n.f. InsO).

Hier sind die Leitsätze:

a) Die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung objektiv zahlungsunfähig ist.

b) Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

c) Für den Vollbeweis der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners muss der Anfechtungsgegner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit des Schuldners im maßgeblichen Zeitpunkt zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können; dies richtet sich nach den ihm bekannten objektiven Umständen.

d) Auf eine im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung nur drohende Zahlungsunfähigkeit kann der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners in der Regel nicht gestützt werden.

e) Eine besonders aussagekräftige Grundlage für die Feststellung der Zahlungseinstellung ist die Erklärung des Schuldners, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können; fehlt es an einer solchen Erklärung, müssen die für eine Zahlungseinstellung sprechenden sonstigen Umstände ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen.

f) Stärke und Dauer der Vermutung für die Fortdauer der festgestellten Zahlungseinstellung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist; dies gilt insbesondere für den Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners.

Der Erkenntnishorizont des Anfechtungsgegners ist damit zum zentralen Element der Vorsatzanfechtung geworden. Sämtliche Anfechtungsprozesse, die noch nicht entschieden sind, müssen jetzt auf diese Rechtsprechung eingestellt werden.

Diese Kehrtwende in der BGH-Rechtsprechung war angekündigt worden, aber sie war wohl erst durch einen Personalwechsel im Senat möglich geworden.

Künftig dürfen noch weitere Änderungen erwartet werden, etwa bei der Annahme, die Geschäftstätigkeit des Schuldners sei bereits für sich genommen ein ausreichender Indikator für die Benachteiligung anderer Gläubiger. Diese Logik hat sich mir nie erschlossen. Insbesondere Stromlieferanten, Verbundgruppen, Einkaufsgenossenschaften etc. machen regelmäßig die Erfahrung, dass ihre Forderungen die größten Einzelforderungen sind, dass sie deshalb vorrangig um Warenkredit gebeten werden, wogegen die übrige Geschäftstätigkeit des Schuldners störungsfrei abläuft.

Durch dieses neue, wegweisende Urteil des BGH wird es den Insolvenzverwaltern künftig nicht mehr gelingen, redlich verdiente Zahlungsrückläufe über Jahre hinweg mit einem Zweizeiler erfolgreich anzugreifen.

Bitte überprüfen Sie Ihre laufenden Anfechtungsprozesse jetzt und achten Sie darauf, dass dieses neue BGH-Urteil den unteren Instanzen zur Kenntnis gebracht wird.

Meine Kanzlei ist auf die Abwehr von Anfechtungsansprüchen spezialisiert und berät Sie gern, auch bei der Rückforderung bereits freiwillig gezahlter Leistungen.

Hier finden Sie das Urteil BGH, IX ZR 72/20 vom 06.05.2021 im Original:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=8b5e186568aee869890e380f97ac4d03&nr=119863&pos=0&anz=1

Und hier § 133 n.F. InsO:

https://www.gesetze-im-internet.de/inso/__133.html

Bonn, den 08.07.2021

Rechtsanwältin Barbara Brenner

 

 

OLG Schleswig-Holstein vom 2.7.2021 – Schufa muss Informationen über die Restschuldbefreiung eines Insolvenzschuldners früher löschen

OLG Schleswig-Holstein vom 2.7.2021 – 17 U 15/21

>>>> Die Schufa darf Daten eines ehemaligen Insolvenzschuldners nicht länger verwerten als sie im Portal „www.insolvenzbekanntmachungen.de“ veröffentlicht sein dürfen. Speichert und verarbeitet die Schufa diese Daten aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal ohne gesetzliche Grundlage länger als in der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekVO) vorgesehen ist, dann hat der ehemalige  Insolvenzschuldner einen Löschungsanspruch gegen die Schufa Holding AG.

Der Sachverhalt:

Über das Vermögen des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und schließlich wurde ihm am 11.9.2019 durch das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung erteilt. Diese Information wurde im amtlichen Internetportal veröffentlicht. Die Schufa kopierte die Daten von dort und pflegte sie in ihren Datenbestand ein, um Vertragspartnern diese Daten bei Auskunftsanfragen zum Kläger mitzuteilen. Der Kläger begehrte die Löschung der Daten von der Schufa, da die Verarbeitung zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen bei ihm führe. Eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirtschaftsleben sei ihm nicht möglich. Er könne aufgrund des Eintrags kein Darlehen aufnehmen, keinen Mietkauf tätigen und keine Wohnung anmieten. Derzeit könne er nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Die Schufa wies die Ansprüche des Klägers zurück und verwies darauf, dass sie die Daten entsprechend den Verhaltensregeln des Verbandes „Die Wirtschaftsauskunfteien e.V.“ erst drei Jahre nach Speicherung lösche. Die Daten seien bonitätsrelevante Informationen und daher für die Vertragspartner der Schufa von berechtigtem Interesse.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem OLG Schleswig hatte dagegen Erfolg.

Aus folgenden Gründen:

Der Kläger kann von der Schufa die Löschung der Daten sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Restschuldbefreiung verlangen, denn nach Ablauf dieser Frist steht die weitere Verarbeitung durch die Schufa im Widerspruch zu § 3 Abs. 2 der Insolvenzbekanntmachungsverordnung (InsoBekVO) und ist daher nicht mehr rechtmäßig i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. f) der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Werden die Daten des Klägers unrechtmäßig verarbeitet, kann er regelmäßig die Löschung dieser Information nach Art. 17 Abs. 1 lit. d) DS-GVO verlangen und hat einen Anspruch auf künftige Unterlassung dieser Datenverarbeitung. Die Schufa kann sich nicht darauf berufen, dass die Datenverarbeitung rechtmäßig sei, da sie ihren oder den berechtigten Interessen von Dritten diene. Ein Interesse kann nur dann berechtigt sein, wenn es nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung oder den Grundsätzen von Treu und Glauben steht. Die Verarbeitung durch die Schufa steht aber nach Ablauf der gesetzlichen Löschungsfrist im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung von § 3 Abs. 2 InsoBekVO, wonach die Information zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung nur sechs Monate im Internetportal zu veröffentlichen ist. Die Verarbeitung und Weitergabe dieser Information an eine breite Öffentlichkeit durch die Beklagte kommt einer Veröffentlichung im Internet gleich und ist daher nach Ablauf der gesetzlichen Löschungsfrist zu unterlassen. Die Schufa kann sich nicht auf die Verhaltensregeln des Verbandes der Wirtschaftsauskunfteien berufen. Diese Verhaltensregeln entfalten keine Rechtswirkung zulasten des Klägers und stehen im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung.

Das OLG hat allerdings die Revision zum BGH zugelassen, d.h. das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Quelle: © Verlag Dr. Otto Schmidt KG

https://online.otto-schmidt.de/

 

 

 

Pfändungsfreigrenzen werden ab dem 1.7.2021 deutlich erhöht

Zum 01.07.2021 werden die Pfändungsfreibeträge nach § 850c ZPO um 6,28% erhöht. Dies gilt spiegelbildlich auch im Privatinsolvenzverfahren und im Regelinsolvenzverfahren für Freiberufler und andere Selbständige.

Der Pfändungsgrundfreibetrag nach § 850c ZPO beträgt nun 1.252,64 € (bisher 1.178,59 €). Die Erhöhungsbeiträge für Unterhaltspflichten betragen nun 443,57 € für die erste Unterhaltspflicht und je 262,65 € für die zweite bis fünfte Unterhaltspflicht.

Amtliche Pfändungstabelle 2021 (Auszug aus dem Bundesgesetzblatt)

Arbeitgeber müssen die Pfändungsfreigrenzen bei einer Lohnpfändung von Amts wegen beachten und den abzuführenden Betrag selbst neu ausrechnen.

Dazu finden Sie hier zwei praktische Arbeitshilfen:

Übersichtstabelle in 100er-Schritten der LAG Schuldnerberatung Hamburg für die Praxis

Excel-Pfändungsrechner der LAG Schuldnerberatung Hamburg

Behandlung von Krankenhauskeimen mit Bakteriophagen – billig, effizient und auch in Deutschland zulässig

Künstliches Hüftgelenk? Herzkatheter? Heute alles Routine-Operationen. Aber: Die Wunde heilt und heilt nicht. Ein sicherer Hinweis auf eine Infektion mit einem Krankenhauskeim. Der Abstrich bestätigt den schlimmen Verdacht: multiresistenter stapyhlococcus aureus (MRSA), besser bekannt unter der Bezeichnung „Krankenhauskeim“.

 

Die Medien berichten bereits seit Jahren über die Seuche der sog. „Krankenhauskeime“ in deutschen Kliniken. Ca. 15.000 Patienten sterben angeblich immer noch jährlich an dieser Seuche, freilich erst nach langem und elendem Siechtum. Und die Dunkelziffer ist hoch. Typische Einfallstore sind orthopädische Operationen am Knochen und den Gelenken, Herzkatheter, aber auch einfache Infusionszugänge (Viggo, ZVK u.a.) schleppen den Keim ein. Eine monatelange Therapie mit chemischen Antibiotika schließt sich an, ist aber in aller Regel nicht kurativ. Das heißt, die Infektion blüht bei nächster Gelegenheit wieder auf, macht Abszesse und frisst sich weiter. Ist erst mal das Knochengewebe befallen, ist eine Amputation fast nicht mehr zu vermeiden. Und selbst die ist nicht sicher kurativ. Die Ärzte sind hilflos: Weder können sie die Infektionen durch Hygienemaßnahmen verhindern (jedenfalls nicht in Deutschland), noch ist die Seuche behandelbar.

Diese Seuche ist wohlweislich auch nicht meldepflichtig, weil sich dann behördliche Maßnahmen bis zur Schließung ganzer Abteilungen und Kliniken, Berufsverbote für Träger der Seuche etc. anschließen müssten.

Sie wird in der Klinik übertragen (daher der Name), und zwar durch Hände, Katheter, Kanülen, unzureichend sterilisiertes OP-Besteck, infizierte Klimaanlagen in OP-Sälen und auf Intensivstationen. Das Klinikpersonal gilt in Deutschland als weitestgehend durchseucht und als Hauptursache für die Übertragung. Chemische Antibiotika helfen nicht, neue chemische Antibiotika sind nicht in Sicht. Die Seuche greift also ungehindert weiter um sich.

Dabei gibt es Abhilfe: Mit der sog. „Phagentherapie“, einer biologischen Antibiose, könnten viele dieser Patienten heute noch am Leben und wieder gesund und munter sein, etliche teure und quälende Krankenhausaufenthalte und sogar Amputationen können einfach und kostengünstig vermieden werden.

Diese Art der Therapie wird im gesamten Ostblock seit fast 100 Jahren erfolgreich angewendet und wurde dort auch ständig weiterentwickelt. Dort gibt es Phagenpräparate inzwischen in jeder Apotheke auf Rezept.

Was ist „Phagentherapie“ und was kann der Ostblock, was wir im Westen nicht dürfen?

„Bakteriophagen“ sind Viren, die in der Umwelt überall vorkommen. Vor ca. 100 Jahren entdeckte der franko-kanadische Forscher Félix Huber d’Hérelle die Viren. Er entdeckte, dass sie speziell Bakterien infizieren und zum Platzen bringen. Während der (reiche) Westen sich seit der Entdeckung des ebenfalls hochwirksamen Penicillins auf die Fortentwicklung von chemischen Antibiotika konzentrierte, wurden die Bakteriophaen als biologische Antibiotika im Jahr 1930 von dem georgischen Forscher Prof. Georgi Eliava mit Hilfe von Félix d‘Hérelle, in Tiflis, Georgien, zur Anwendungsreife beim Menschen gebracht. In der Therapie multiresistenter Keime werden sie speziell auf Problemkeime wie staphylococcus aureus, pseudomonas aeruginosa, escherischia coli (E. coli) und andere gram-negative Keime hin abgerichtet. Im Wundgebiet appliziert, finden sie ihren „Wirt“ auch im entferntesten Knochensubstrat, infiltrieren ihn, vermehren sich in ihm und töten ihn schließlich ab. Finden sie ihren ganz speziellen „Wirt“ nicht mehr, können sie sich nicht mehr vermehren und gehen schließlich ein. Der Patient ist keimfrei, die Wunde kann endlich abheilen und der Patient wird wieder gesund. So einfach ist das nicht in jedem Fall, aber in sehr vielen Fällen.

https://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Phagentherapie-Bakterien-mit-Viren-bekaempfen,phagen101.html

Im Jahr 1936 wurde die erste Phagenmischung zur Bekämpfung der Cholera im Südosten der damaligen UdSSR kommerziell eingesetzt. Das „Georgyi-Eliava“-Institut in Tiflis versorgt seither bis heute ganz selbstverständlich die Patienten der ehemaligen Sowjetunion, und zwar Zivilpersonen, vor allem aber verletzte Soldaten, mit dieser billigen, einfachen, und hochwirksamen Therapie. In letzter Zeit werden auch westeuropäische Patienten von dort mitversorgt. Warum eigentlich?

In der EU sind solche Präparate als Fertig-Arzneien nicht zulassungsfähig, denn sie wirken individuell und müssen individuell hergestellt werden. Sie eignen sich deshalb nicht für die vorgeschriebenen, randomisierten Studien. In Polen, Russland und Georgien und neuerdings auch in Belgien* sind Phagenpräparate dagegen zugelassen und in Apotheken auf spezielles Rezept hin erhältlich, das lediglich den Bakterienstamm ausweisen muss.

*https://www.dw.com/de/phagen-bakterienfresser-aus-georgien-als-medizin-von-morgen/a-51309915

Warum gibt es in Deutschland keine Phagentherapie?

Diese Information ist so nicht richtig: Es gibt sie auch in Deutschland. In Deutschland darf jeder Arzt im Rahmen der Therapiefreiheit selbst hergestellte Medikamente am Patienten anwenden, ohne ein Zulassungsverfahren dafür durchlaufen zu müssen. Nur das Auf-den-Markt bringen ist ohne Zulassung nicht erlaubt. Wenn also eine Uniklinik über ein Institut für Mikrobiologie und eine hauseigene Apotheke verfügt, dann kann sie für jeden ihrer Patienten das geeignete Bakteriophagenpräparat ohne Zulassung durch das BfARM individuell herstellen und den Patienten damit behandeln. Der Arzt muss lediglich gegenüber dem Gewerbeaufsichtsamt nachweisen, dass das Herstellungsverfahren sicheren Standards entspricht.

Den rechtlichen Rahmen zu dem sog. „individueller Heilversuch“ liefern im Übrigen Art. 37 des Helsinki-Protokolls des Welt-Ärztebundes sowie § 21 Abs. 2 Ziff. 6 neue Fassung des  deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) im Rahmen des sog. „compassionate-use“ oder „off-label-use„. Dort heißt es:

„(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die […]
6. unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos* für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimitteln; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt. […]

https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/KlinischePruefung/CompassionateUse/_node.html

*Die Kosten müssen inzwischen von den Trägern der GKV übernommen werden.

Wenn es also zulässig ist, wo bekommt die Klinik dann in Deutschland die Virenstämme her?

Das Leibniz-Institut in Braunschweig hält die größte Sammlung an Mikroorganismen vor, darunter auch die inzwischen über 6000 bekannten Bakteriophagenstämme. Da ist für jedes Bakterium etwas Passendes dabei. Die Phagenlösungen werden vom Fraunhofer-Institut ITEM (= Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin), Braunschweig, speziell aufgereinigt und an die Krankenhausapotheken ausgeliefert, die dann die Lösung zur Anwendung am Patienten herstellen.

Auf diese Weise behandeln tatsächlich bereits mehrere deutsche Kliniken ihre Patienten seit mehreren Jahren mit speziell für den Keimbefall zusammengestellten Bakteriophagen-Cocktails: Dazu gehören die Klinik für Transplantationsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, die Charité und das Bundeswehrkrankenhaus in Berlin:

https://www.mhh.de/kliniken-und-spezialzentren/httg/bakteriophagen;

https://www.bundeswehr.de/de/organisation/sanitaetsdienst/aktuelles-im-sanitaetsdienst/forschung-wenn-viren-gegen-bakterien-helfen–4490782

Weitere Anwender sind Kliniken in Finnland und das Militärkrankenhaus „Reine Astrid“ in Brüssel. Belgien ist übrigens das einzige westeuropäische Land, das Phagenpräparate an der Europäischen Zulassungsbehörde vorbei zugelassen hat und sie auch exportiert, z.B. nach Frankreich. Warum also nicht auch nach Deutschland?

Stellt eine Klinik das spezielle Phagenpräparat selbst her, müssen die Kosten der Behandlung von den Trägern der GKV und der PKV übernommen werden. Das ist nicht so wild, denn die Therapie ist

  1. billig*,
  2. effizient (man braucht in der Regel nur 1 bis 2 Behandlungszyklen),
  3. einfach, und vor allem
  4. im Vergleich zu chemischen Antibiotika weitgehend nebenwirkungsfrei.

*ein Zyklus à 5 Ampullen kostet in einer Apotheke in Georgien beispielsweise umgerechnet € 90,-

Was bedeutet das für die Kliniken und die niedergelassenen Ärzte?

Nicht jedes Krankenhaus hat die Möglichkeit, Bakteriophagenlösungen selbst herzustellen, niedergelassene Ärzt*innen erst recht nicht. Aber Krankenhäuser mit einer eigenen Apotheke und natürlich alle Universitätskliniken, die etwas auf sich halten, können das und dürfen das auch. Für die behandelnden Ärzt*innen bedeutet das, dass die Gefahr einer Arzthaftung wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers aussetzen und sich sogar wegen einer unterlassene Hilfeleistung strafbar machen könnten, allerdings nicht, weil sie die Phagentherapie nicht selbst angewandt haben, sondern weil sie die Patienten nicht darüber aufgeklärt haben, dass es diesen Therapieansatz an bestimmten Kliniken in Deutschland gibt. Auf Wunsch des Patienten und je nach Kapazität dieser Kliniken müssen sie sie selbstverständlich auch dorthin einweisen.

Diese Möglichkeit der Behandlung ist den meisten Ärzt*innen allerdings herzlich unbekannt. Das allein ist schon skandalös, aber unser fabelhafter Gesundheitsminister hätte schon weit vor der Pandemie im Rahmen der Seuchenbekämpfung dafür sorgen können – und auch müssen – dass

  1. auch diese Seuche meldepflichtig wird, und
  2. dass die betroffenen Patient*innen im Inland adäquat behandelt werden können.

Hat er aber nicht. Die Behandlung mit Bakteriophagenpräparaten ist offenbar zu billig und zu effizient. Für die Pharma-Lobby daher uninteressant. Demgegenüber bringt die monatelange Behandlung von zig-tausenden Patienten mit teuren und ineffizienten Antibiotika natürlich wesentlich mehr Umsatz, der bei einer Zulassung von Phagen zwar nicht ganz, aber doch erheblich einbrechen würde.

Es ist mir wichtig, darüber zu berichten, damit Ärzt*innen wie Patient*innen und ihre Angehörigen erfahren, dass eine einfache, billige und kurative Behandlung bereits seit vielen Jahren auch im Inland und auf Kosten der Krankenkassen für jeden Patienten erreichbar ist.

Die Hilflosigkeit der Ärzt*innen in Deutschland, das massenhafte, unnötige Sterben und unendliche Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen in Deutschland kann so endlich ein Ende finden.

Bitte setzen Sie sich gerne mit mir in Verbindung, wenn Sie Näheres wissen möchten.

Bonn, den 28.06.2021/RA’in Barbara Brenner

Überbrückungshilfe III Plus: Bund sponsort Anwalts- und Gerichtskosten für außergerichtlichen Restrukturierungsplan

„Überbrückungshilfe III Plus“ oder Außergerichtlicher Restrukturierungsrahmen: Bundesregierung verlängert und erhöht nicht nur die Corona-Überbrückungshilfen, sondern stellt (alternativ) auch Anwalts- und Gerichtskosten von bis zu 20.000 Euro pro Monat (!) für die insolvenzabwendende Restrukturierung von Unternehmen in einer drohenden Zahlungsunfähigkeit zur Verfügung!

Berlin, 09.06.2021 – Die Bundesregierung hat die Verlängerung und Erhöhung der Corona-Wirtschaftshilfen bis zum 30. September 2021. Der Staat zahlt denjenigen Unternehmen eine Restart-Prämie, die Mitarbeiter früher aus der Kurzarbeit holen oder Beschäftigte neu einstellen. Und schließlich wird die Neustarthilfe für Soloselbständige auf bis zu 12.000 Euro für die ersten drei Quartale dieses Jahres verlängert und erhöht.

Die Bundesregierung erhöht auch die Obergrenze für die Förderung im Rahmen der „Überbrückungshilfe III“ und der „Überbrückungshilfe III Plus“. Künftig können Unternehmen, die von staatlichen Schließungsmaßnahmen direkt oder indirekt betroffen sind, bis zu 40 Mio. Euro als Schadensausgleich im Rahmen der Überbrückungshilfe geltend machen. Grundlage dafür ist die „Bundesregelung Schadensausgleich“, die von der Europäischen Kommission auf Antrag der Bundesregierung hin genehmigt wurde. Zusammen mit der bislang geltenden Obergrenze von bis zu 12 Mio. Euro beträgt der maximale Förderbetrag künftig in der „Überbrückungshilfe III“ und der „Überbrückungshilfe III Plus“ 52 Mio. Euro.

Bundeswirtschaftsminister Altmaier versteht das als ein wichtiges Signal, damit alle Unternehmen nach der Krise wieder Gas geben können. Aber können sie das oder stehen sie dann vor einem unüberwindlichen Berg von Schulden. Soll die Insolvenzwelle damit nur auf die Zeit nach der Wahl verschoben werden?

Sollten Unternehmer*innen jetzt also weitere Überbrückungshilfen in Anspruch nehmen, oder ist es Zeit für einen vorausschauenden – außergerichtlichen – Schuldenerlass?

Die Bundesregierung stellt Hilfen für beides zur Verfügung: Der Staat gewährt nicht nur weitere Überbrückungshilfen bis September, sondern ersetzt über das Programm „Restrukturierungshilfe III Plus“ alternativ auch Anwalts- und Gerichtskosten von bis zu 20.000 Euro pro Monat (!) für die insolvenzabwendende Restrukturierung von Unternehmen in einer drohenden Zahlungsunfähigkeit.

https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2021/06/20210609-bundesregierung-verlaengert-ueberbrueckungshilfen-bis-september.html

Wenn die anderen nach dem Auslaufen der Überbrückungshilfen am Ende der Liquiditätskrise angekommen sind, segeln frisch schuldbefreite Unternehmer*innen mit ihrem Unternehmen elegant an den anderen vorbei: Gut ausgeschlafen, weil ohne privates Haftungsrisiko und ohne Angst vor dem Staatsanwalt. Wie hätten SIE es gern?

Sprechen Sie uns an, wir schauen uns Ihre Situation unverbindlich an. Sie entscheiden.

COVInsAG: Wer ist eigentlich von der Insolvenzantragspflicht derzeit befreit?

Schätzungsweise nur rund 20 Prozent der Unternehmen sind tatsächlich berechtigt, die Antragspflicht auszusetzen.

Trotzdem wird von der Regierung gern der Eindruck vermittelt, dass niemand einen Insolvenzantrag stellen muss, wenn er wegen der Corona-Krise zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Das Gegenteil ist leider der Fall!

Zitat: Patrik-Ludwig Hantzsch, Pressesprecher Leiter Wirtschaftsforschung Creditreform, im Interniew mit der WELT online vom 04.03.2021

Woran liegt das?

Nun, der Gesetzgeber hat die Geschäftsführer und Vorstände nur unter ganz engen Bedingungen trotz Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung von der Insolvenzantragspflicht befreit. Dafür müssen die Geschäftsführer und Vorstände noch Jahre später nachweisen können, dass ihr Unternehmen am 31.12.2019 noch völlig gesund, also weder drohend zahlungsunfähig noch überschuldet war, und dass es im Übrigen nachhaltig sanierungsfähig war. Dafür müssen sie dermaleinst eine belastbaren Liquiditätsstatus per 31.12.2019 vorlegen können sowie eine belastbare Liquiditätsplanung für die kommenden 24 Monate, und zwar  unter Einbeziehung der Bezahlung der Rückstände und der Zinsen. Diese Bedingungen erfüllen die meisten betroffenen Unternehmen gar nicht, und das wußte die Bundesregierung auch, als sie das Gesetz entworfen hat:

Nach Einschätzung der Bundesregierung wird sich die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2021 deutlich erhöhen. Aktuelle Experteneinschätzungen (z.B. Bundesbank, IW Köln, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Creditreform) gehen davon aus, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen gegenüber dem Jahr 2019 […] um eine vierstellige, gegebenenfalls sogar niedrige fünfstellige Zahl an Unternehmensinsolvenzen ansteigen könnte. […].

Zitat: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom 25.01.2021, BT-Drucksache 19/26094

Die Bundesregierung handelte also mit Vorsatz, als sie die Lockdown-Entscheidungen getroffen hat. Man kann nur hoffen, dass kein milderes Mittel zur Verfügung stand, sonst hagelt es Schadensersatzansprüche, und die Insolvenzverwalter sind nicht dafür bekannt, dass sie bei der Realisierung von Schadensersatzansprüchen zimperlich vorgehen.

Gefährlich ist das aber nur für GmbH-Geschäftsführer, Vorstände von Aktiengesellschaften etc. Diese geraten durch den Irrtum, es gebe eine generelle Suspendierung der Insolvenzantragspflichten in eine gefährliche persönliche Schieflage, denn die Insolvenzordnung ist unerbittlich:

  • Sie haften persönlich für sämtliche Ausgaben, die die Gesellschaft getätigt hat (§ 15b InsO),
  • sie haften persönlich für Steuerrückstände (§ 69 AO),
  • sie haften persönlich für rückständige Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung und werden dafür sogar noch strafrechtlich verfolgt, sind also vorbestraft (§ 266a StGB).

Das möchten Sie nicht. Nutzen Sie also lieber bequem die Vorteile eines Insolvenzverfahrens für den Schuldenabbau, haften Sie niemals persönlich und machen Sie sich auch lieber nicht strafbar. Nutzen Sie Fördergelder lieber für einen Neustart als für eine Tilgung von Schulden, die aus der Pandemie herrühren, und wenn Sie dadurch ein blühendes Unternehmen verloren haben, nehmen Sie den Staat auf Schadensersatz in Anspruch!

Als Haftungs“partner“ für die Insolvenzverwalter kommen übrigens neuerdings auch gerne die Steuerberater in Betracht, die den Jahresabschluss 2020 auch in Corona-Zeiten möglicherweise zu Unrecht unter Fortführungs-Ansätzen aufstellen. Hierzu hat der BGH im Jahre 2017 erstmals deutlich Stellung bezogen:

Besteht ein Insolvenzgrund, weil sie (Anm.: die Gesellschaft) überschuldet oder zahlungsunfähig ist, liegen regelmäßig tatsächliche Gegebenheiten im Sinne des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB vor, die der Regelvermutung einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen. Er (Anm.: der Steuerberater) darf jedoch dem von ihm erstellten Jaresabschluss keine Fortführungswerte zugrunde legen, wenn auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen die Vermutung des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB entweder widerlegt erscheint oder ernsthafte Zweifel bestehen, die nicht ausgeräumt werden. (…) Dabei darf er sich nicht auf bloße Aussagen der Geschäftsführer oder der Gesellschaft ohne sachlichen Gehalt verlassen.

BGH, Urt. v. 26.01.2017 – IX ZR 285/14

Seitdem bereitet es den Verwalterkanzleien großes Vergnügen, neben dem Geschäftsführer immer auch den Steuerberater / die Steuerberaterin des Unternehmens in Mithaftung zu nehmen, denn es geht oft um 6-stellige Beträge. Und die Steuerberater sind immerhin entsprechend liquide, zumindest aber versichert, nimmt man an.

Aber Vorsicht Allianz versichert: Die Allianz nimmt gerne Vorsatz an, wenn der Steuerberater Pflichten, die ihm ja bekannt sind, verletzt, denn bei Vorsatz muss sie nicht einstehen. Aus diesem Grunde und sie lehnt die Haftung textbausteinmäßig wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung ab. SO macht man Gewinne!

Änderung der Banken-AGB erneut unwirksam

Der für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat hat heute entschieden, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bank unwirksam sind, die ohne inhaltliche Einschränkung die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Sonderbedingungen fingieren.

Urteil vom 27. April 2021 – XI ZR 26/20

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, der als qualifizierte Einrichtung nach § 4 UKlaG eingetragen ist. Die beklagte Bank verwendet in ihrem Geschäftsverkehr mit Verbrauchern Allgemeine Geschäftsbedingungen, die Klauseln enthalten, die im Wesentlichen den Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken und Nr. 2 Abs. 1 bis 3 AGB-Sparkassen bzw. den Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken und Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen entsprechen. Danach werden Änderungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Kunden spätestens zwei Monate vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens in Textform angeboten. Die Zustimmung des Kunden gilt als erteilt, wenn er seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen angezeigt hat. Auf diese Genehmigungswirkung weist ihn die Bank in ihrem Angebot besonders hin. Der Kunde hat die Möglichkeit der Kündigung.

Der Kläger hält die Klauseln für unwirksam. Er begehrt mit seiner Klage, der Beklagten bei Meidung von Ordnungsmitteln aufzugeben, es zu unterlassen, die Klauseln in Verträge mit Verbrauchern einzubeziehen und sich auf die Klauseln zu berufen.

Das Landgericht hat die Klage, mit der der Kläger in erster Instanz außerdem noch die Erstattung von Abmahnkosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangt hat, abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers, mit der er sein Klagebegehren mit Ausnahme seines Zahlungsantrags weiterverfolgt hat, zurückgewiesen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat auf die Rechtsmittel des Klägers das Berufungsurteil aufgehoben und die beklagte Bank nach Maßgabe der in zweiter Instanz gestellten Anträge verurteilt.

Die Klauseln unterliegen vollumfänglich der AGB-Kontrolle. Das gilt auch, soweit sie Zahlungsdiensterahmenverträge erfassen. § 675g BGB sperrt die Anwendung der §§ 307 ff. BGB nicht. Das folgt aus dem Unionsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 11. November 2020 – C-287/19, „DenizBank“, WM 2020, 2218), dessen Umsetzung § 675g BGB dient und der in diesem Sinne unionsrechtskonform auszulegen ist.

Die Klauseln, die so auszulegen sind, dass sie sämtliche im Rahmen der Geschäftsverbindung geschlossenen Verträge der Beklagten mit ihren Kunden wie etwa auch das Wertpapiergeschäft und den Sparverkehr betreffen, halten der eröffneten AGB-Kontrolle nicht stand.

Nr. 1 (2) der AGB der Beklagten betrifft alle Änderungen „dieser“ Geschäftsbedingungen, also der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die zugleich mit Nr. 1 (2) AGB vereinbart werden, und Änderungen (künftiger) „besonderer Bedingungen“ für einzelne gesondert vereinbarte Geschäftszweige, die das gesamte Tätigkeitsspektrum der Beklagten umfassen. Sie betrifft nicht nur Anpassungen von einzelnen Details der vertraglichen Beziehungen der Parteien mittels einer fingierten Zustimmung des Kunden, sondern ohne inhaltliche oder gegenständliche Beschränkung jede vertragliche Änderungsvereinbarung. Damit weicht sie von wesentlichen Grundgedanken der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB ab, indem sie das Schweigen des Verwendungsgegners als Annahme eines Vertragsänderungsantrags qualifiziert. Diese Abweichung benachteiligt die Kunden der Beklagten unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders wird vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist. Die allgemeine Änderungsklausel bietet eine Handhabe, unter Zuhilfenahme einer Zustimmungsfiktion im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten. Dass „vereinbarte“ Änderungen ihrerseits der Ausübungskontrolle unterliegen, gleicht diesen Umstand nicht aus. Für so weitreichende, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffende Änderungen, die dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen können, ist vielmehr ein den Erfordernissen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig.

Auch Nr. 12 (5) der AGB der Beklagten hält einer Inhaltskontrolle nicht stand. Die Klausel betrifft Entgelte für Hauptleistungen. Damit benachteiligt die Klausel auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass keine einseitige Anpassungsbefugnis der Beklagten besteht, sondern Änderungen des Vertragsverhältnisses nur im Wege eines – gegebenenfalls fingierten – Konsenses zustande kommen sollen, die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB). Mittels Zustimmungsfiktion kann die vom Kunden geschuldete Hauptleistung geändert werden, ohne dass dafür Einschränkungen vorgesehen sind. Die Beklagte erhält damit eine Handhabe, das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und damit die Position ihres Vertragspartners zu entwerten. Für solche weitreichenden, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffenden Änderungen ist, wie oben ausgeführt, ein den Erfordernissen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig. Eine Zustimmungsfiktion im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung reicht hierfür unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Verwendungsgegners nicht aus.

Vorinstanzen:

Landgericht Köln – Urteil vom 12. Juni 2018 – 21 O 351/17

Oberlandesgericht Köln – Urteil vom 19. Dezember 2019 – 12 U 87/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

  • 305 BGB

[…]

(2) Allgemeine Geschäftsbedingungen werden nur dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss

1.die andere Vertragspartei ausdrücklich oder, wenn ein ausdrücklicher Hinweis wegen der Art des Vertragsschlusses nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich ist, durch deutlich sichtbaren Aushang am Ort des Vertragsschlusses auf sie hinweist und

2.der anderen Vertragspartei die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise, die auch eine für den Verwender erkennbare körperliche Behinderung der anderen Vertragspartei angemessen berücksichtigt, von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen,

und wenn die andere Vertragspartei mit ihrer Geltung einverstanden ist.

[…]

  • 307 BGB

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

  1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
  2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

  • 311 BGB

(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

[…]

  • 675g BGB

(1) Eine Änderung des Zahlungsdiensterahmenvertrags auf Veranlassung des Zahlungsdienstleisters setzt voraus, dass dieser die beabsichtigte Änderung spätestens zwei Monate vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens dem Zahlungsdienstnutzer in der in Artikel 248 §§ 2 und 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche vorgesehenen Form anbietet.

(2) Der Zahlungsdienstleister und der Zahlungsdienstnutzer können vereinbaren, dass die Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers zu einer Änderung nach Absatz 1 als erteilt gilt, wenn dieser dem Zahlungsdienstleister seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderung angezeigt hat. Im Fall einer solchen Vereinbarung ist der Zahlungsdienstnutzer auch berechtigt, den Zahlungsdiensterahmenvertrag vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderung fristlos zu kündigen. Der Zahlungsdienstleister ist verpflichtet, den Zahlungsdienstnutzer mit dem Angebot zur Vertragsänderung auf die Folgen seines Schweigens sowie auf das Recht zur kostenfreien und fristlosen Kündigung hinzuweisen.

[…]

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressemitteilung vom 27.04.2021

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